Anmerkungen zum Thema

"Halbmikrotechnik Chemie in der Schule"

Klaus-G. Häusler

Inhaltsverzeichnis

1. Mein Weg zur Halbmikrotechnik
2. Mein halbmikrotechnischer Weg zur Schulchemie
3. Halbmikrotechnik in der Lehrerforbildung - erster Anlauf
4. Halbmikrotechnik und Lehrerfortbildung - zweiter Anlauf
5. Entwicklung des Sicherheitsdenkens im Spiegel der gesetzlichen Vorgaben
6. Entwicklung des System-Konzeptes für die Chemie

Literatur

 

 

1. Mein Weg zur Halbmikrotechnik

In meiner Studienzeit lernte ich zum ersten Male das Arbeiten mit kleinen Stoffportionen im Grundpraktikum (sog. "Mahr-Praktikum". [l154]) kennen. Dort begegneten mir die Ausdrücke Makroanalyse (ca. 5 mL), Halbmikroanalyse (1mL), Tüfelanalyse (0,03mL) und Mikroreaktion bzw. Kristalloskopie (ohne Volumenangabe). Insbesondere von der Tüpfelanalyse war ich begeistert, ließ sie doch ein schnelleres Arbeiten zu [l155]. Da jeder Platz des Übungssaals doppelt belegt war, waren die Standflaschen am Arbeitsplatz regelmäßig leer und der Weg durch den ganzen Saal zu den Vorratsflaschen weit. Durch Arbeiten mit kleinen Stoffportionen gelang es, neben einer schnelleren Arbeitsweise und sogar zu die schnellere und sicheren Ergebnissen zu kommen. - Zu dem damaligen Zeitpunkt faszinierte mich der geringe Verbrauch an Chemikalien nicht aus »edlen« Motiven, sondern eher aus persönlicher Bequemlichkeit und Steigerung der Effizienz.
Fortgesetzt wurde der Umgang mit der Halbmikrotechnik im qualitativ-analytischen Praktikum durch den Einsatz des Lehrbuchs "Jander-Blasius" [l156], in dem auch ein spezielles Unterkapitel zu den Geräten und der Arbeitsweise aufgeführt sind.

Da ich mein Studium zum großen Teil selbst finanzieren musste, suchte ich nach bezahlten Praktika Im Anschluss an das Praktikum "Mikroanalyse" bei Prof. Dr. Reginald Gruehn wikipedia erhielt ich eine stud. Hilfskraftstelle, bei der ich Ionenaustausch-Experimente mit Chromsalzen durchführte, wobei auch hier Stoffportionen von etwa 10 mg obere Grenze war.

Eine weitere Tätigkeit war die eines vorbereitenden Vorlesungsassistenten bei Prof. Dr. Harald Schäfer wikipedia in der Vorlesung "Allgemeine und anorganische Chemie für Hörer aller Fakultäten". Dort lernte ich das speziellen Experimentieren mit halbmikrotechnischen Apparaturen kennen. Die Demonstration der Versuche geschah in Form einer »Projektionschemie« , wobei die 20cm*20cm-kleinen Geräte mittels einer Kohlebogenlampe und Umlenkprisma als ca. 3m*3m-großes Bild an die Wandfläche des Hörsaals geworfen wurden. Eine der Besonderheiten dieser Projektionschemie war, dass der Projektionstisch in der Mitte eines etwa 400 Personen fassenden Hörsaales stand, wo sich, außer dem Stromanschluss, kein Abzug oder sonstige Installationseinrichtungen befanden. Dadurch wurde der Umgung mit Gefahrstoffen, insbesondere der mit Gasen erheblich erschwert. Unter der Anleitung von H. Schäfer, der während der Kriegszeit als Apparateglasbläser gearbeitet hatte und Claus Brendel, dem Chemotechniker und hauptamtlichen Assistenten, wurde das Problem dadurch gelöst, dass nach Möglichkeit giftige Gase erst in der Apparatur entwickelt wurden, wenn sie zu einer Umsetzung benötigt wurden. Ebenso wurden sie danach in der Apparatur entsorgt, das heißt in nicht gefährliche Stoffe umgewandelt.

 

 

2. Mein halbmikrotechnischer Anlauf in der Schulchemie

Nach dem Studium trat ich eine Stelle als Referendar am Gymnasium in Sundern an, das sich im Aufbau befand. Hier war das erklärte Ziel meines Ausbildungsfachleiters Herrn Mennekes, Schülerinnen und Schülern die Chemie durch eigenes Tun erleben zu lassen. Wo das nicht ging, sollten die Experimente als Demonstrationsexperimente vorgeführt werden. Die Geräte-Sammlung war noch unvollständig, so dass ich versucht war, eine Schülerübungen in der Halbmikrotechnik durchführen zu lassen und Projektionschemie für die Demonstrationschemie zu entwickeln. Das Selbst-Entwickeln war nötig, weil es 1976 keine industriell gefertigten, halbmikrotechnischen Glasgeräte gab. Die Schwierigkeit an dieser Schule im Hochsauerland bestand zusätzlich darin, dass es im Umkreis von 60 km kein Apparateglasbläser gab.

Zunächst versuchte ich mit industriell gefertigten Laborgläsern der Firma Wheaton , die ich aus der analytischen organischen Chemie kannte, Apparaturen zusammenzustellen. Die deutsche Vertriebsfirma Zinsser stellte mir großzügig und unentgeltlich die gewünschten Teile zur Verfügung. Aus zwei Gründen kamen diese Geräte für unser Gymnasium nicht in Frage: 1. Die Geräte waren nicht für anorganische Umsetzungen, bei denen oft Temperaturen von über 400°C erreicht wurden, nicht geeignet. 2. Das Dichtungsmaterial bestand aus Voll-P.T.F.E und war für die Schule nicht erschwinglich. Ich gab daher die Teile schweren Herzens mit einer ausführlichen Expertise zurück. - Damals und leider auch heute beläuft sich der Verbrauchsetat eines voll ausgebauten Gymnasiums auf ca. 1500-2000 €, was bedeutet, dass für eine Chemie-Unterrichtstunde etwa 1-2 € zur Verfügung stehen. Wenn da nicht ein Fördererverein einspringt, Drittmittel von Firmen der Umgebung oder die Fördermittel des VCI einspringen, wäre ein regulärer Unterricht gar nicht möglich. - Später wurde durch die Firma Zinnser die pädagogische Hochschule Heidelberg eingeschaltet, wo Prof. M. Schallies einen Bausatz, das "Mikrolabor", entwickelte. Der Bausatz ist heute noch im Schulfachhandel zu erwerben und in den USA stark verbreitet.

Erschwinglich war ein Glasbausatz des Kollegen E. Baumbach, der durch die Firma Hedinger vertrieben wurde. Bemerkenswert war das Handbuch, das eine Fülle von schulrelvanten Experimenten für die organische Chemie enthält. Leider kommen die Experimente aus der anorganischen Chemie ziemlich kurz weg. Nachteilig empfand ich sie Sortierung und die Vielzahl speziell gewinkelter Glasrohre, die die Übersichtlichkeit in Schülerübungen stark beeinträchtigt. Auch die verwendeten Schraubkappen hielt ich für nich stabil genug für Schülerübungen, weshalb ich auch von dieser Anschaffung absah.

So war ich gezwungen, mit meine primitiven Fertigkeiten im Glasblasen eigene Apparaturen zu blasen. Für Gerätesätze in der für Schülerübungen benötigten Anzahl reichte es nicht, die Durchführbarkeit von Experimenten in der Halbmikrotechnik durch Projektion wurde aber von der Schulleitung und der Schulaufsicht, den Bezirksregierungen Arnsberg und Münster erkannt. So wurde ich nach dem Examen an das Immanuel-Kant-Gymnasium Münster versetzt, dem letzten noch im Aufbau befindlichen Gymnasium in Münster, wo ich Gelegenheit erhielt, die Halbmikrotechnik für Schülerübungen weiter zu entwickeln.

Der Standort Münster war wichtig, weil ich hierdurch wieder Kontakt zu den Chemischen Instituten der Universität und Glasbläsern erhielt.

Gleichzeitig bekam ich den Band 4 der »chemischen Schulversuche« der ehemaligen DDR in die Hand, der sich speziell mit der Halbmikrotechnik befasste[l4]. Dieser enthielt neben einer Vielzahl von chemischen Experimenten auch eine detaillierte Darstellung einer Halbmikro-Apparatetechnik. Nun war es nur noch nötig, die dort vorgefundenen Angaben in einen technisch praktikablen, für Schülerübungen geeigneten Gerätesatz umzuarbeiten, der mit den westlichen Industrienormen vereinbar war. Die Lehrer in der ehemaligen DDR waren wegen des Mangels an industrieller Fertigung gezwungen, aber auch teilweise handwerklich in der Lage, sich die Geräte für Schülerübungen selbst zu blasen.

Anfänglich wurden Glasgewinde der Firma PYREX verwendet, später dann die Industrienorm der GL-Gewinde, wie sie auch die Firma SCHOTT verwendet.

Die Apparaerteile wurden zu einem Basis-Set und einem Ausbau-Set zusammengestellt und in Schubladen in Schubladenschälchen der Firma RUBBERMAID aufbewahrt. Dadurch war gewährleistet, dass Schülerinnen und Schüler eine kompletten Gerätesatz am Platz haben, um aus den vorhandenen Teilen kreativ Apparaturen zu konstruieren.

 

 

3. Halbmikrotechnik in der Lehrerforbildung - erster Anlauf

Diese Gerätesätze wurde parallel zum Einsatz in Schülerübungen auch für die Lehrerfortbildung mit dem Thema. "Sicheres und sachgerechtes Experimentieren mit Glasbausätzen" verwendet.
Das Interesse von Kolleginnen und Kollegen war jedoch minimal. Es herschte die allgemeine Meinung vor, die aus der Erfahrung gestützt wurde, dass es im Chemieunterricht selten sehr Unfälle gibt. Am häufigsten traten Verletzungen durch Verbrennen oder Glasbruch beim Umgang mit Glasrohren und Kork- bzw. Gummistopfen auf. Eigentliche Chemie-Unfälle waren auf den Umgang mit Natrium und Brom beschränkt. Daneben gab es jedoch vereinzelt Unfälle durch unsachgemäßen Gebrauch von Lösemitteln, die mitunter zu lebensgefährlichen Verbrennungen führten. Auf Grund des Mangels an Interesse der Kolleginnen und Kollegen, die wie in NRW üblich auf freiwilliger Basis teilnehmen sollen, wurde die Fortbildung 1982 eingestellt.

 

 

4. Halbmikrotechnik und Lehrerfortbildung - zweiter Anlauf

Einschneidende Änderung trat im Jahre 1986 ein, als die für die Industrie geltende Gefahrstoffverordnung in ihrem Gültigkeitsbereich auch auch die Forschung an Universitäten und allgemeinbildenden Schulen ausgeweitet wurde. Die nun allgemein eintretende Verunsicherung, was man noch für Experimente in der Demonstration und in Schülerübungen einsetzen konnte, führte dazu, dass praktisch keine Schülerexperimente, sondern nur noch "Kreide-Chemie" an der Tafel durchgeführt wurde.

Um dem zu begegnen und den wichtigen experimentellen Anteil in der Vermittlung von Chemiekenntnissen wieder zu beleben, wurde am Landesinstitut für Schule u. Weiterbildung in Soest eine Arbeitsgruppe bestehend aus 20-25 Kolleginnen und Kollegen ins Leben gerufen, die entscheiden sollten, welche Experimente und in welcher Form die Experimente weiterhin durchgeführt werden könnten. Dazu wurden alle in NWR zugelassenen Bücher auf Arbeitsgruppen verteilt und nach Themen wie z.B. "Brennbare Flüssigkeiten", "Schwermetalle", "Säuren und Laugen", "Aromatenchemie", "Giftige Gase" und "Entsorgungskonzepte" bearbeitet.

Ursprügliches Ziel war es, eine Liste "Genehmigte Versuche und die Art der Durchführung" festzulegen. Im Verlaufe der Beratung zeigte es sich, dass es unmöglich war, schulformübergreifend und entsprechend der unterschiedlichen Ausstattung der Schulen einheitliche Vorschriften zu machen. Nachdem die Kolleginnen und Kollegen der Schulen und die Sicherheitsingenieure als Vertreter der Gemeindeunfallversicherungen von der Besonderheit der Halbmikrotechnik Kenntnis genommen hatten, in geschlossenen Systemen zu arbeiten, wurden die Halbmikrotechnik als wichtige Alternative für das Experimentieren in der Schule erkannt. Als Folge wurden nur enige wenige, besonders "gefährliche Stoffe" aus der Schule verbannt. Für den Umgang mit den übriggebliebenen Stoffen wurden Musterlösungen ausgearbeitet. Weiter wurde für die Umsetzung der Lehrerforbildung vorgesehen, an einem der 10 Arbeitstage einen Tag speziell für die Einführung in die Halbmikrotechnik zu veranstallten.

Im Verlauf der Lehrerfortbildung lernten Kolleginnen und Kollegen am Landesinstitut in Soest das Arbeiten in geschlossenen Systemen mit der Halbmikrotechnik kennen. Die Erfahrungen mit der Halbmikrotechnik hat dazu geführt, dass das Arbeiten mit kleinen Stoffportionen in geschlossenen Apparturen als Methode der Wahl beim Umgang mit gefährlichen Stoffen bevorzugt empfohlen wurde. Seitdem haben sich weit über 300 Schulen auf Schülerübungen mit der Halbmikrotechnik eingestellt.

 

 

5. Entwicklung des Sicherheitsdenkens im Spiegel der gesetzlichen Vorgaben

Mit den Veränderungen der Gefahrstoffverordnung und den Technichen Richtlinien wurden auch die ministeriellen Vorschriften für die Hand des Lehrenden angepasst. Zunächst wurden alle schulrelevanten gesetzlichen Vorgaben in der "Sintu" zusammengestellt. Außerdem wurde ein "Sicherheitsbeauftragter" an jeder Schule eingesetzt, falls die Schulleitung das Aufgabengebiet nicht selbst übernahm.

Mit der Gefahrstoffverordnung von 2005 wurde die Verantwortung für den Umgang mit Gefahrstoffen dem Arbeitgeber in der Weise überantwortet, dass er nunmehr für jeden Arbeitsprozess (jedes Experiment) eine Gefärdungsbeurteilung schriftlich vor dem eigentlichen Experiment hinterlegen muss. Beim Umgang mit gefährlichen Stoffen ist das Arbeiten in geschlossenen Apparaturen zwingend vorgeschrieben. Hier finden die halbmikrotechnischen Arbeitsgeräte ihre bevorzugte Anwendung.

 

6. Entwicklung des System-Konzeptes für die Chemie

Mit dem Arbeiten in geschlossenen Apparaturen wird dem Experimentator bewusst, dass er der "Erzeuger" neuer Stoffe ist, die gefärlich bzw. giftig sind. Somit ist er gezwungen, über die Entsorgung nachzudenken. Das führt dazu, dass er eine geschlossene Apparatur als geschlossenens System für Materie begreifen muss. So ergeben sich Parallen

  • zur Mathematik mit Gleichungen,
  • zur Physik mit den Erhaltungssätzen,
  • zur Biologie mit den Ökosystemen bis hin
  • zur Wirtschaft mit ihren Märkten

Mit der Beherrschung von Energie und Materie wird deutlich dass auch in der Chemie das Konzept "System" Geltung findet, so wie es in den Empfehlungen der Kultusmimisterkonferenz als Basiskonzept der Bildungsarbeit für die Fächer Physik und Biologie bereits verankert ist .

 

Literatur

Autor:

Klaus-G. Häusler; haeusler[at]muenster[dot]de

weitere Literatur:

Harald Schäfer, Dietrich Bauer, Claus Brendel: Chemische Experimente in Projektion; Chiuz, 4(2), S. 109-155, 1968 (s.a. )

Wheaton: Liebig-Kühler

Zinsser: Mini-Lab und Zinsser- Minilab; deutsch: Michael Schallies Minilabor

Baumbach: Mikroglasbaukasten

Bildungsportal des Landes Nordrhein-Westfalen: Basiskonzepte
http://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/materialdatenbank/nutzersicht/materialeintrag.php?matId=285 ; gelesen am 10.03.2014