Literatur

Hans Joachim Störig
"Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft"

stoerig298.htm 09.07.2011

Hans Joachim Störig:    Ausschnitte aus dem Buch: "Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft"

Inhaltsverzeichnis 

Kap.9 III. PHYSIK UND CHEMIE

Ausschnitte aus dem Buch: "Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft" (S.298 - 315)

III PHYSIK UND CHEMIE

1. Universelle Gravitation. Newton

a) Newtons Leben und Werk

Der Historiker der Philosophie, wenn er zum größten Namen seiner Wissenschaft, zu Immanuel Kant kommt und die Verpflichtung spürt, zunächst vorn Leben dieses Mannes zu erzählen, gerät in gelinde Verlegenheit. Über die Gedanken und Werke Kants kann man beliebig dicke Bücher schreiben ? aber seine Biographie kann sehr kurz ausfallen. "Er lebte ständig in Königsberg, teite seine Zeit genau ein und blieb unverheiratet" ? damit ist schon das Wesentliche gesagt. Ähnlich ist es in der Geschichte der Wissenschaft mit dem Manne, der nach dem Urteil der meisten Gelehrten in der unabsehbaren Reihe ihrer Heroen der größte ist. Auch bei ihm ist das Werk alles. Fast noch mehr als Kant hat er seine ganze Lebenskraft seinem Werk gegeben. Kant war immerhin gesellig, ein geistreicher Plauderer und beliebter Redner; er liebte Literatur, Musik, auch ein gutes Mittagsmahl. Newton war immer ernst. Liebe zum anderen Geschlecht scheint ihn niemals berührt zu haben. Künste und Musik bedeuteten ihm nichts. Kleidung und Nahrung waren ihm gleichgültig. Auch von den tragischen Kämpfen, die das Leben vieler großer Forscher verdunkelt haben, ist bei Newton fast nichts zu spüren. Er hatte nicht lange um Anerkennung zu ringen. Mit 25 Jahren wurde er Professor. Von materiellen Sorgen blieb er verschont. Sein Leben ist äußerlich undramatisch.

Newton wurde 1642 - im Todesjahr Galileis (Galilei war an dem Tage geboren, da Michelangelo starb) - im Gutshaus von Woolsthorpe bei Grantham in Lincolnshre geboren. Sein Vater war vor seiner Geburt gestorben. Newton besuchte die Schule in Grantham. Er zeichnete sich nicht durch Eifer oder besondere Leistungen aus; aber er war ein Grübler, Spintisierer und beschäftigte sich gern mit allerlei mechanischen Spielereien und Basteleien. Als sein Stiefvater starb, mußte er die Schule verlassen. In der heimischen Landwirtschaft fühlte er sich unglücklich. Auf den Rat eines Onkels schickte ihn die Mutter zum Studium nach Cambridge.

Hier erst öffnete sich ihm die Welt der Mathematik? und Naturwissenschaft, von der er in der Schule so gut wie nichts gehört hatte. Er las Kepler, Descartes' Geometrie und vieles andere. Die Pest des Jahres 1665 trieb ihn zunächst nach Hause zurück. Hier in der ländlichen Stille scheint ohne äußeren Anlaß fast mit einem Schlage sein Genie erwacht zu sein. Hören wir den greisen Newton selbst über diese Jugendzeit:

Zu Beginn des Jahres 1665 fand ich die Methode, Reihen zu approximieren, und die Regel, jede Potenz irgendeines Binomens auf eine derartige Reihe zu reduzieren (der binomische Lehrsatz). Im Mai desselben Jahres fand ich die Methode der Tangenten des Gregory und Slusius, und im November hatte ich die Differentialrechnung, und im Januar des nächsten Jahres hatte ich die Farbtheorie, und im Mai darauf hatte ich Zugang zu der umgekehrten Differentialrechnung, und im selben Jahre begann ich zu denken, daß die Schwerkraft sich auch auf den Mond erstrecke, und ... aus Keplers Gesetz von den periodischen Umlaufszeiten der Planeten leitete ich ab, daß die Kräfte, welche die Planeten in ihren Bahnen halten, im umgekehrten Verhältnis zu den Entfernungen von den Mittelpunkten stehen müssen, um die sie sich drehen; dabei verglich ich die Kraft, die erforderlich ist, um den Mond in seiner Bahn zu halten, mit der Schwerkraft an der Oberfläche der Erde und fand, daß sie ziemlich genau paßten. Alles das war in den Pestjahren 1665 und 1666, denn damals war ich in der ersten Blüte des Alters, in dem ich Erfindungen machte, und beschäftigte mich mit Mathematik und Philosophie mehr als zu irgendeiner anderen Zeit seither.  

1666 war Newton 24 Jahre alt! Nach seinem Bericht hatte er damals schon alle Hauptprobleme seines Lebenswerkes aufgeworfen und im Prinzip auch gelöst. Sein weiteres Leben diente der Ausarbeitung des Entworfenen. Es sind, wie man sieht, drei Hauptthemen, denen seine Arbeit galt. Das eine ist die Infinitesimalrechnung, die bereits im Mathematikabschnitt behandelt wurde. Das zweite ist die Farbtheorie, die im folgenden der Optik gewidmeten Abschnitt behandelt werden soll. Das dritte ist die Gravitationstheorie und ihre Anwendung auf die Planetenbewegungen. Sie soll uns in diesem Abschnitt beschäftigen.

Verfolgen wir aber zunächst Newtons Lebensgang weiter. Bald nach seiner Rückkehr nach Cambridge wurde er zum Mitglied des Trinity College gewählt. 1669 erhielt er den Lehrstuhl für Mathematik. Der Inhaber dieses Lehrstuhls, Barrow, ein namhafter Gelehrter, gab ihn auf, um für den Würdigeren Platz zu machen.

Seit 1645 bestand in London ein privater Kreis von Männern, die sich der Pflege der Wissenschaft widmeten. Da die meisten Konservative waren, mußten sie während des Bürgerkrieges im Geheimen tagen - deshalb nannten sie sich auch "Invisible (unsichtbares) College" - und zeitweilig außerhalb Londons zusammenkommen. Nach der Restauration des Königtums (1660) konnten sie nach London zurückkehren. 1662 wurde dieser Kreis durch königliche Urkunde zur "Royal Society of London for Promoting Natural Knowledge" (Londoner königliche Gesellschaft für die Förderung der Naturwissenschaft) erhoben. Ab 1662 gab die Gesellschaft ihre berühmte ?Veröffentlichung Philosophical Transactions heraus. Die Gesellschaft wurde vom König sehr gefördert. Ihre Tätigkeit hat wesentlich dazu beigetragen, daß England im Zeitalter Newtons die unbestrittene Führung in Philosophie und Naturwissenschaft übernehmen konnte. In den Kreis dieser Männer, unter denen sich auch Hooke, Boyle und weitere später zu nennende Gelehrte befanden, trat Newton ein.

Zwei Jahrzehnte lebte Newton in Cambridge. Allerdings arbeitete er keineswegs konsequent und stetig an den Problemen, die ihn so früh beschäftigt hatten. Er befaßte sich nebenher viel mit theologischen Fragen. Außerdem scheint er nach Berichten anderer - von ihm selbst gibt es kaum Äußerungen darüber - viel Zeit auf alchimistische Versuche verwandt zu haben. Jahre hindurch hielt er sich meist im Frühjahr und Herbst Wochen hindurch in seinem Laboratorium auf mit Versuchen, über die er zu niemand sprach und auch nichts veröffentlicht hat. Wissenschaftliche Erfolge in der Chemie waren ihm anscheinend nicht beschieden.

Teils wegen solcher Ablenkung, teils auch, weil Newton wie viele Gelehrte seiner Zeit eine gewisse Scheu davor hatte, seine Ergebnisse zu veröffentlichen, zog sich das Werden der Newtonschen Gravitationstheorie vom ersten Erkennen des Problems bis zum fertigen Ergebnis über 20 Jahre hin.

Kopernikus hatte gezeigt, daß die Planeten um die Sonne kreisen. Kepler hatte die Bahnen als Ellipsen erkannt und die Gesetze des Umlaufs gegeben. Welche Kraft aber läßt die Planeten und Monde kreisen, und warum bewegen sie sich gerade in Ellipsen? Mit dieser Frage war Kepler nicht ins reine gekommen. Nach verschiedenen zeitgenössischen Berichten soll ein vom Baume fallender Apfel Newton zuerst auf den Weg zur Lösung gebracht haben. Sollte die Kraft, die den fallenden Körper zur Erde zieht, die gleiche sein wie die, die verhindert, daß die Planeten geradlinig in den Raum hinausfliegen, und sie statt dessen zwingt, um die Sonne zu kreisen? Sollte die Anziehungskraft der Erde, die den Apfel in Bewegung setzt, ihre Wirkung so weit durch den Raum erstrecken, daß sie auch den Mond in seiner Bahn hält? 

Newton begann sofort das Problem durchzurechnen. Dazu benötigte er: 

  1. die Entfernung des Mondes von der Erde,

  2. die Umlaufzeit des Mondes (aus 1. und 2. ist die Geschwindigkeit des Mondes pro Sekunde zu errechnen),

  3. die Fallgeschwindigkeit auf der Erde. 

Es kam nun darauf an, nachzuweisen, daß der Mond in jeder Sekunde um gerade so viel von der geradlinigen (tangentialen) Bewegung abgelenkt wird, wie er von der Erde angezogen wird - daß seine Bahn also dadurch zustande kommt, daß er in jeder Sekunde der Erde ein Stück entgegen"fällt".

Newton erkannte, daß die Wirkung einer solchen anziehenden Kraft dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional sein muß. Unter dieser Voraussetzung kam er mit seiner Rechnung nach seinen eigenen oben angeführten Worten zu einem "ziemlich genauen" Ergebnis, aber doch nicht zu einem ganz befriedigenden. Wahrscheinlich war der von ihm zugrundegelegte Wert für die Mondbahn nicht richtig. Newton ließ jedenfalls die Sache zunächst auf sich beruhen und rührte sie zehn Jahre lang nicht mehr an.

Ziemlich gleichzeitig mit diesen ersten Überlegungen Newtons wurde der Gedanke der universellen Gravitation von zwei anderen Gelehrten ausgesprochen. Der eine war der italienische Mathematikprofessor Giovanni Alfonso Borelli (1608-1679), der auch in der Geschichte der Physiologie einen Namen hat. In einem 1666 erschienenen Buche führte er aus, die Kreisbewegung der Himmelskörper könne dadurch zustande kommen, daß eine Kraft von der Sonne den Planeten mit genau der gleichen Stärke anzieht, wie sich der Planet vermöge seiner Eigenbewegung von der Sonne zu entfernen strebt. Der zweite war der Engländer Robert Hooke (1635-1703) vgl. auch S. 310), damals Vorsteher der Royal Society. In einer ebenfalls 1666 verfaßten Abhandlung sprach er die gleiche These aus. 1674 - Newton schwieg noch immer - führte Hooke in einer zweiten Abhandlung den Gedanken weiter. Er unternahm es, die Bewegung der Planeten aus drei Prinzipien zu erklären: 

  1. Es herrscht universelle Gravitation. 

  2. Ein Körper bewegt sich in gerader Richtung weiter, solange er nicht durcheine Kraft von dieser abgelenkt wird. 

  3. Die anziehenden Kräfte nehmen mit zunehmender Entfernung ab. 

In welchem Verhältnis sie abnehmen - nach dem Gesetz der umgekehrten Quadrate nämlich - sagte Hooke nicht.

Dies war der Punkt, an dem Newton durch einen Brief Hookes im Jahre 1679 wieder in die Debatte gezogen wurde. Ändert sich die Gravitation im umgekehrten Quadrat zur Entfernung? Und wenn sie dies tut, kann man berechnen, daß die Bahnen der Planeten dann Ellipsen sein müssen? Newton wußte die Antwort. Er hatte inzwischen die bei seiner früheren Berechnung benutzten Werte berichtigt und ein befriedigendes Ergebnis erzielt. Aber noch weitere fünf Jahre vergingen, bis Newton, wiederum angestoßen durch Fragen Hookes und des Astronomen Halley (S.349), sich endlich daran machte, seine Ergebnisse für die Royal Society niederzuschreiben. Das war 1684. Nun konzentrierte Newton sich endlich auf diese Niederschrift. 1687 erschienen seine Naturalis philosophiae principia mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturlehre).

1699 wurde Newton zum Vorsteher der staatlichen Münze in London ernannt. Seine Aufgabe war nicht leicht, denn die englische Währung stand damals auf schwachen Füßen. Newton löste die Aufgabe gründlich und mit Erfolg. Er mußte sich mit Währungsproblemen befassen, wie es auch Kopernikus getan hatte, er erkannte die Beziehungen zwischen Gütermenge und umlaufender Geldmenge und andere Gesetze des Geldwesens. Seine schöpferische wissenschaftliche Tätigkeit war mit dieser Zeit beendet. Was er veröffentlichte, war weniger Neues als Darlegung früher gewonnener Erkenntnisse. Am wichtigsten ist seine Optik (1703). Im Anhang zu dieser veröffentlichte Newton den binomischen Lehrsatz und seine "Fluxionsrechnung".
Newton war von 1703 ab Präsident der Society und starb hochgeehrt im Jahre 1727.

 

 

b) Principia mathematica

Nachdem wir das Gravitationsproblem schon in seiner allmählichen Entstellung bei Newton und anderen verfolgt haben, können wir einige Ausschnitte aus Newtons Hauptwerk betrachten. Das Werk besteht aus einer Einleitung und drei Büchern. Die beiden ersten Bücher bringen die allgemeinen Sätze, das dritte wendet sie auf das Weltsystem an. 

Newtons Ziel finden wir gleich im ersten Satz des Vorworts an den Leser ausgesprochen:

... die Neueren haben, nachdem sie die Lehre von den substantiellen Formen und verborgenen Eigenschaften aufgegeben haben, angefangen, die Erscheinungen der Natur auf mathematische Gesetze zurückzuführen.

Da Newton ein geschlossenes System geben will, bezieht er alle schon vor ihm bekannten Sätze, soweit er sie benutzt, in seine Darstellung ein. So sind von den drei "Grundgesetzen der Bewegung", welche Newton zu Anfang gibt, die beiden ersten von ihm nicht neu entdeckt, sondern nur präzis formuliert worden:

1. Gesetz. Jeder Körper beharrt in seinem Zustande der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.

(Erläuterung): Geschosse verharren in ihrer Bewegung, sofern sie nicht durch den Widerstand der Luft verzögert und durch die Kraft der Schwere von ihrer Richtung abgelenkt werden ... Die großen Körper der Planeten und Kometen aber behalten ihre fortschreitende und kreisförmige Bewegung in weniger widerstehenden Mitteln längere Zeit bei.

2. Gesetz. Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt.

In der Erläuterung, und einem Zusatz wird hier der Satz vom "Parallelogramm der Kräfte" gebracht.

Das dritte Gesetz stammt von Newton selbst:

3. Gesetz. Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung.

(Erläuterung): jeder Gegenstand, welcher einen anderen drückt oder zieht, wird ebenso stark durch diesen gedrückt oder gezogen. Drückt jemand einen Stein mit dem Finger, so wird dieser vom Steine gedrückt. Zieht ein Pferd, einen an einem Seil befestigten Stein fort, so wird das erstere gleich stark gegen den letzteren zurückgezogen ...

Das dritte Buch Vom Weltsystem beginnt mit folgenden grundlegenden Regeln zur Erforschung der Natur:

1. Regel. An Ursachen zur Erklärung natürlicher Dinge nicht mehr zuzulassen, als wahr sind und zur Erklärung jener Erscheinungen ausreichen.

2. Regel. Man muß daher, soweit es angeht, gleichartigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben.

3. Regel. Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche weder verstärkt noch vermindert werden können, und welche allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen kann, muß man für Eigenschaften aller Körper halten.

Zur Erläuterung der dritten Regel bemerkt Newton:

Die Eigenschaften der Körper werden nämlich nur durch Versuche bekannt, und man muß daher diejenigen für allgemeine halten, welche im allgemeinen mit denVersuchen übereinstimmen und die weder vermindert noch aufgehoben werden können.
Die Folgerung für die Schwerkraft:
Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen diese schwer, und zwar im Verhältnis der Menge der Materie in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältnis seiner Masse, und umgekehrt unser Meer gegen den Mond schwer; hat man ferner durch Versuche und astronomische Beobachtungen erkannt, daß alle Planeten wechselseitig gegeneinander und die Kometen gegen die Sonne schwer sind, so muß man nach dieser Regel behaupten, daß alle Körper gegeneinander schwer Seien.

Hier ist das Prinzip der allgemeinen Gravitation ausgesprochen.

Das mathematische Erkenntnisideal des Jahrhunderts, von dem Newton ganz durchdrungen ist, haben wir greifbar vor uns, wenn Newton mit Bezug auf seine Ableitung der Schwere ausruft:

Möchte es gestattet sein, die übrigen Erscheinungen der Natur auf dieselbe Weise aus mathematischen Prinzipien abzuleiten.

Auch ohne die Erläuterungen und Beweise wird die Art, wie Newton nun das Prinzip der allgemeinen Gravitation auf die Erscheinungen anwendet, deutlich in den folgenden Lehrsätzen, mit denen der Abschnitt Von den Ursachen des Weltsystems beginnt:

§ 1. Lehrsatz. Die Kräfte, durch welche die Monde Jupiters beständig voll der geradlinigen Bewegung abgezogen und in ihren Bahnen erhalten werden, sind nach dem Mittelpunkte Jupiters gerichtet und den Quadraten ihrer Abstände von demselben Punkte proportional.

§ 2. Lehrsatz. Die Kräfte, durch welche die Planeten beständig von der geradlinigen Bewegung abgezogen und in ihren Bahnen erhalten werden, sind nach der Sonne gerichtet und den Quadraten ihrer Abstände von derselben umgekehrt proportional

§ 3. Lehrsatz. Die Kraft, welche den Mond in seiner Bahn erhält, ist nach der Erde gerichtet und dem Quadrat des Abstandes seines jeweiligen Ortes vom Zentrum der Erde umgekehrt proportional.

§ 4. Lehrsatz. Der Mond ist gegen die Erde schwer; er wird durch die Schwere von der geradlinigen Bewegung abgezogen und in seiner Bahn erhalten.

§ 6. Lehrsatz. Die Jupitermonde streben zum Jupiter, die Saturnmonde zum Saturn, die Planeten zur Sonne, und werden durch die Kraft ihrer Schwere stets von der geradlinigen Bewegung abgezogen und in krummlinigen Bahnen erhalten.

§ 8. Lehrsatz. Alle Körper sind gegen die einzelnen Planeten schwer, und die Gewichte der ersteren gegen jeden Planeten sind in gleichen Abständen vorn Mittelpunkt des letzteren der Menge der in den einzelnen Körpern befindlichen Materie proportional.

§ 9. Lehrsatz. Die Schwere kommt allen Körpern zu und ist der in jedem enthaltenen Menge der Materie proportional .


Die folgenden Lehrsätze fügen die Keplerschen Gesetze in das Svstem ein und bringen die Berechnung der Bahnen und Achsen der Himmelskörper im einzelnen. § 24 handelt vom Gewicht der Körper in verschiedenen Gegenden der Erde. Hier werden unter anderem die Versuche ausgewertet, die Richer, Halley
und andere mit dem Pendel in verschiedenen Erdbreiten gemacht hatten. Sie hatten übereinstimmend ergeben, daß die anziehende Kraft der Erde in Äquatornähe etwas schwächer wirkt als nach den Polen zu, so daß die Erde keine genaue kugelförmige Gestalt haben kann, sondern am Äquator aufgebaucht, an den Polen abgeflacht ist. Newton kommt zu dem Ergebnis, "daß die Erde am Äquator ungefähr 17 Meilen höher sein müsse als an den Polen".

§ 28 beschäftigt sich mit Ebbe und Flut als Wirkungen der Schwerkraft von Sonne und Mond.

c) Zur Würdigung und Kritik

Niemals zuvor hatte die Naturwissenschaft ein so imposantes Gebäude hervorgebracht wie das Werk Newtons. Nicht viel mehr als eine Generation nach Galilei wurde bereits ein Riesenschritt über sein Werk hinaus getan. Was Galilei induktiv aus den beobachteten Tatsachen erschlossen hatte, war mit den Ergebnissen Keplers zu einem geschlossenen System vereinigt. Der fallende Stein auf Erden und die Sterne am Himmel gehorchen den gleichen Gesetzen. Dadurch war ein Weg eröffnet, den Geheimnissen in den Fernen des Weltalls durch irdische Versuche auf die Spur zu kommen. Für einen großen Teil der unbelebten Natur waren die Gesetze gefunden; für weitere Teile konnte man hoffen, sie mit den gleichen Methoden aufzufinden. Die ganze Welt eine einzige, mechanischen Gesetzen gehorchende Maschine! Die Physik der folgenden zwei Jahrhunderte baute weiter auf der von Newton gelegten Grundlage.
Die Differentialrechnung war das Werkzeug, das Newtons Erfolg erst möglich machte. Es ist später nachgewiesen worden, daß Newton zu den Ergebnissen der Principia mit Hilfe seiner neuen Rechenmethode gekommen ist. Nachträglich hatte er jedoch seine Ableitungen und Beweise, um sie allgemein verständlich zu machen, in die Sprache der alten Geometrie übersetzt.
Wie sehr der Erfolg der Newtonschen Methode durch eine Beschränkung, durch den Verzicht auf die Frage nach dem Wesen ermöglicht wurde, erkennt man leicht, wenn man seine zu Beginn des Werkes gegebenen Ausgangsdefinitionen ansieht. Am Anfang steht die Definition des Begriffs der Masse: "Die Größe der Materie wird durch ihre Dichtigkeit und ihr Volumen gemessen." Das heißt, wir erhalten die Masse, wenn wir das Volumen eines Körpers mit seiner "Dichte" multiplizieren. Was ist aber Dichte? Darauf gibt es nur die Antwort. Dichte ist die Masse eines Körpers, dividiert durch sein Volumen! Was Newtons Satz wirklich enthält, ist nicht mehr als die Annahme: Zu jedem Körper gehört eine bestimmte Größe, die Masse genannt werden soll.
Ähnlich ist es mit anderen Voraussetzungen. Es sind Ausgangsannahmen, Axiome, von denen es scheint und jedenfalls Newton schien, daß sie keines Beweises bedürfen. Das dachte auch Euklid von seinen Axiomen. Die Mathematik nach Euklid hat allmählich erkannt, daß diese keine feststehenden Grundwahrheiten sind, sondern zwar sehr sinnreiche, aber im Letzten keineswegs notwendige Annahmen. So erkannte auch die Physik lange nach Newton, daß seine Axiome sich nicht von selbst verstehen. Das gilt insbesondere für die das Ganze tragenden Grundbegriffe Raum, Zeit, Ort und Bewegung.
Newton unterscheidet absolute und relative Zeit:
Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. Sie wird so auch mit dem Namen Dauer belegt. ? Die relative, scheinbare und gewöhnliche Zeit ist ein fühlbares und äußerliches, entweder genaues oder ungleiches Maß der Dauer, dessen man sich gewöhnlich statt der wahren Zeit bedient, wie Stunde, Tag, Monat, Jahr.

Der gleiche Unterschied wird für den Raum gemacht:

Der absolute Raum bleibt vermöge seiner Natur und ohne Beziehung auf einen äußeren Gegenstand stets gleich und unbeweglich. - Der relative Raum ist ein Maß oder ein beweglicher Teil des ersteren, welcher von unseren Sinnen durch seine Lage gegen andere Körper bezeichnet und gewöhnlich für den unbeweglichen Raum genommen wird, zum Beispiel ein Teil des Raumes innerhalb der Erdoberfläche; ein Teil der Atmosphäre; ein Teil des Himmels, bestimmt durch seine Lage gegen die Erde ...

Desgleichen für den Ort:

Der Ort ist ein Teil des Raumes, welchen ein Körper einnimmt, und nach Verhältnis des Raumes entweder absolut oder relativ ...

Endlich auch für die Bewegung:

Die absolute Bewegung ist die Übertragung eines Körpers von einem absoluten Orte nach einem anderen absoluten Orte; die relative Bewegung die Übertragung von einem relativen Orte nach einem anderen relativen Orte ...

Newton erkennt, daß absolute Bewegung nur in einem absoluten Raum festgestellt werden kann:

Bewegt sich z. B. der Teil der Erde, in welchem ein Schiff sich befindet, gegen Osten mit einer Geschwindigkeit von 10010 Teilen; das durch Wind und Segel angetriebene Schiff hingegen gegen Westen mit einer Geschwindigkeit von 10 Teilen; geht endlich der Schiffer im Schiffe gegen Osten mit einer Geschwindigkeit von einem Teile: so bewegt sich der letztere wirklich und absolut im unbewegten Raume gegen Osten mit einer Geschwindigkeit von 10001 Teilen und relativ auf der Erde gegen Westen mit einer Geschwindigkeit von neun Teilen.


Die Frage ist nur: Wo sollen wir den "absoluten" Raum finden, wenn die Erde sich um die Sonne bewegt, die Sonne sich im Milchstraßensystem bewegt und auch die Milchstraße sich im All mit Riesengeschwindigkeit bewegt? Dies letztere wußte Newton noch nicht. Er nahm an, irgendwo in den äußeren Fernen des Weltraums befänden sich tatsächlich riesige unbewegliche Massen, an deren absoluter Ruhe alle andere Bewegung gemessen werden könne. Diese unbewegten Massen kann man allerdings nicht sehen. Deshalb sagt Newton:


Die wahren Bewegungen der einzelnen Körper zu erkennen und von den scheinbaren scharf zu unterscheiden, ist übrigens sehr schwer, weil die Teile jenes unbeweglichen Raumes, in denen die Körper sich wahrhaft bewegen, nicht sinnlich erkannt werden können 26.

Trotzdem hielt er an seiner Grundannahme fest. Und nicht nur er, sondern die ganze Physik nach ihm bis ins 19. und 20. Jahrhundert.

 

2. Optik

a) Kepler. Snell. Descartes. Grimaldi

Was bisher aus älteren Zeiten von der Optik erwähnt wurde, gehört vorwiegend der mathematischen Optik an, welche die mathematischen Gesetze der Fortbewegung, Zurückwerfung und Brechung des Lichts studiert. Im 17. Jahrhundert trat daneben die physikalische Optik hervor. Im Mittelpunkt standen die drei Fragen nach der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Lichts ? für die als wichtigste Arbeit die des Dänen Olaus Roemer bereits bei der Astronomie erwähnt wurde ? nach der Natur der Farbe und der Natur des Lichtes selbst. Für die Farbenlehre sind die Arbeiten Newtons grundlegend, für die Theorie des Lichts vor allem die von Huygens. Die physiologische Optik, also die Lehre vom Sehvorgang im Auge, wurde hauptsächlich durch Kepler gefördert.

Nochmals müssen wir von einer neuen Seite auf Keplers Werk zurückkommen. Im Gegensatz zu der im Altertum, zum Beispiel bei Euklid herrschenden Ansicht: das Licht sei eine Ausstrahlung des Auges, welche auf den Gegenstand trifft ? hatte Al-Hazen (S. 153) richtig die Lichtstrahlen als von leuchtenden Gegenständen ausgehend und auf das Auge treffend beschrieben. Kepler baute in seiner Dioptrik auf dieser Lehre auf. Er führte aus: Das ins Auge einfallende Licht wird durch die "Linse des Auges" auf der Netzhaut zu einem Bilde geformt, und das aufstellende Licht ruft durch Reizung der Netzhaut eine chemische Veränderung hervor. Die Natur dieser Veränderung konnte er nicht erkennen; aber man sieht, daß er die Vorgänge im Prinzip richtig deutete. Kepler erklärte auch richtig die Kurz? und Weitsichtigkeit, sowie das räumliche Sehen aus dem Zusammenwirken beider Augen.

Das Brechungsgesetz war den Alten nur annäherungsweise bekannt gewesen. Genau formulierte es der Holländer Willibrord Snell (Snellius, 1591 bis 1626). Veröffentlicht wurde es allerdings erst 1637 durch René Descartes. Es ist umstritten, ob Descartes es unabhängig von Snellius gefunden hat. Wahrscheinlich hatte es ihm dieser mitgeteilt.

Wie wir bei seiner Wirbeltheorie sahen, nahm Descartes an, das Weltall sei überall mit feinsten Teilchen einer besonderen Art Materie angefüllt. Auf dieser Vorstellung baute Descartes ein vollständiges System der Optik auf, gab auch Erklärungen für das Entstehen der Farben. Wir erwähnen das System nur kurz, weil es grundlegende Irrtümer enthielt: Descartes glaubte, das Licht pflanze sich unendlich rasch fort; er kam auch auf die alte Ansicht zurück, das Licht sei eine Ausstrahlung des Auges. Sein System hielt sich deshalb nicht lange.

Die Frage nach der Natur des Lichts wurde zuerst entscheidend gefördert durch den italienischen Jesuiten Francesco Grimaldi (1618 bis 1663). Grimaldi machte eine Reihe optischer Versuche und beschrieb sie in einem Werk über Licht und Farben, das kurz nach seinem Tode veröffentlicht wurde. Einer der Versuche ist folgender:
Drei Platten aus lichtundurchlässigem Material liegen parallel mit geringem Abstand übereinander. in die beiden oberen ist je ein kleines kreisrundes Loch geschnitten, in die untere nicht. Die Löcher in den oberen Scheiben liegen genau übereinander. Licht fällt von oben senkrecht durch die beiden Löcher auf die unterste Platte. Wenn das Licht sich geradlinig fortpflanzt, so muß auf dieser ein scharf abgegrenzter kreisförmiger Lichtfleck entstehen. Außerhalb dieses Kreises muß es völlig dunkel sein, denn Lichtstrahlen könnten nur unter Abweichung vom geraden Wege dahin gelangen.
Aber was ergab sich? Der Lichtfleck war nicht scharf begrenzt. Es war vielmehr ein weicher Obergang vorhanden, ein regenbogenartiges Band von Farben um den hellen Fleck herum. Außerdem zeigte der Rand einen rhythmischen Wechsel von Hell und Dunkel.

Dieses Experiment und weitere, die Grimaldi mit einem Stabe und mit einem Beugungsgitter (in Form einer mit parallel eingeritzten Linien versehenen Metallplatte) durchführte, ergaben eine Fülle von Beobachtungsmaterial. Es konnte befriedigend nur erklärt werden, wenn man das Licht - wie schon Leonardo da Vinci - mit Wellenbewegung in Zusammenhang brachte. Grimaldis Vermutungen gingen in diese Richtung. Er brachte aber keine klare Deutung zustande.
Noch näher als Grimaldi kam Robert Hooke der Wellentheorie.

 

b) Newton

"Im Jahre 1666 hatte ich die Farbtheorie", schrieb Newton in dem weiter oben angeführten Rückblick. Keplers Optik hatte Newton schon als Student gelesen; aber bevor er seinen Lehrstuhl erhielt, hatte er keine eigenen optischen Versuche angestellt. Er begann damit, indem er auf einem Jahrmarkt ein kleine3 Prisma kaufte. Solche Prismen wurden wegen des schönen Farbenspiels, das sie geben, schon seit längerer Zeit als Spielerei hergestellt. Die Erscheinung war also vielen bekannt. Aber Newton war der einzige, der sie planmäßig untersuchte.
Newtons erster Versuch war denkbar einfach. Doch er ergab gleich das Wesentliche. Newton bohrte in den Fensterladen seines Zimmers ein kleines Loch, durch das ein Sonnenstrahl ins verdunkelte Zimmer fiel. Diesen Strahl ließ er durch sein Prisma gehen und dann auf einen Schirm fallen. Dreierlei sah er. Erstens rückte der Lichtfleck als ganzes, sobald man das Prisma dazwischenschob, auf eine andere Stelle. Zweitens veränderte er seine Form und sein Aussehen " Statt eines kreisrunden Flecks entstand ein Band, dessen Länge sich zur Breite etwa wie 5 : 1 verhielt. Drittens war dieses Band nicht weiß, sondern bestand aus Streifen in den bekannten Farben des Regenbogens, wobei das rote Ende der ursprünglichen Position des Lichtflecks am nächsten und das violette am fernsten lag. Damit war erwiesen, daß weißes Licht zusammengesetzt ist aus sieben Arten von Licht verschiedener Farbe. Die Auflösung in Einzelfarben beim Durchgang durch das Prisma kam offenbar dadurch zustande, daß die einzelnen Arten von Licht verschieden stark gebrochen werden, das rote am wenigsten, das violette am stärksten.

Ein zweiter Versuch bestätigte das. Newton hielt ein zweites Prisma hinter dem ersten in den Lichtstrahl, jedoch. in umgekehrter Stellung. Das farbig aufgespaltene Licht schloß sich beim Durchgang durch das zweite Prisma wieder zum weißen Licht zusammen.

Weitere Versuche bei veränderter Anordnung ergaben stets die gleichen sieben Farben in der gleichen Folge, die damit als nicht weiter zerlegbare Grundbestandteile des weißen Sonnenlichts festgestellt waren. Newton veröffentlichte 1672 den ersten Bericht über seine Versuche. Obwohl jedermann sie leicht nachprüfen konnte, wurden Newtons Folgerungen angegriffen. Die sich daran anschließenden Streitigkeiten trugen wesentlich dazu bei, daß Newton mit Veröffentlichungen später zurückhaltend war.

Übrigens war Newton zu seiner Beschädigung mit den Farben eigentlich dadurch veranlaßt worden, daß er nach einem Weg suchte, sie loszuwerden. Ihn störten nämlich bei astronomischen Beobachtungen die im Teleskop auftretenden farbigen Lichtringe. Konnte man nicht ein Fernrohr bauen, in dem solche Störungen nicht auftreten? Er war sich durch seine Versuche nun klargeworden, wie solche Erscheinungen entstehen, sah aber keinen Weg, sie zu vermeiden, wenn das Teleskop, wie seit Galilei üblich, ausschließlich aus Linsen zusammengestellt war. Newton setzte deshalb einen gekrümmten Spiegel an die Stelle der einen Linse und erfand so das Spiegelteleskop. Später fand man, daß bei Verwendung zweier verschiedener Glassorten für eine Linse achromatische Fernrohre auch mit Linsen gebaut werden können.

Newtons Beschäftigung mit den Farben mußte ihn auch auf die Frage nach der Natur des Lichts führen. Über Newtons Stellungnahme zu dieser Frage besteht das weitverbreitete Vorurteil, Newton habe sich für die Korpuskulartheorie erklärt ? die Lehre also, daß das Licht aus feinen Körperchen besteht, die sich durch den Raum bewegen; damit habe er sich gegen die richtigere Wellentheorie gestellt und den Fortschritt der Optik gehemmt.

Das ist nicht ganz richtig. Zunächst hat Newton in dem Streit beider Theorien überhaupt nicht endgültig Stellung bezogen. Er ging immer von seinen experimentellen Ergebnissen aus. Er betonte, daß zunächst diese Ergebnisse als solche feststünden, unabhängig davon, wie man über das Wesen des Lichts denke. Newton war der Meinung, keine der beiden Theorien reiche aus, um alle bekannten Erscheinungen restlos zu erklären. Um zum Ausdruck zu bringen, daß er sich selbst nicht entscheiden wolle, kleidete er seine diesbezüglichen Erörterungen in die Form von "Fragen" am Schluß der Optik.

Am nächsten scheint Newton eine Mischung von Korpuskular- und Wellentheorie gelegen zu haben. Das Licht wäre danach zu denken als aus Teilchen bestehend, die selbst nicht Wellen sind, aber im "Äther" Wellen erregen. Dieser Äther, dem wir hier begegnen und der eine große Rolle in der physikalischen Theorie spielen sollte, ist nach Newton zu denken als aus feinsten Teilchen bestehend, viel dünner und elastischer als Luft, aber doch ihr irgendwie ähnlich; nicht homogen, sondern zusammengesetzt aus einem trägeren Hauptbestandteil und verschiedenen feineren "ätherischen Geistern". Die Äthertheorie war nicht sehr klar und nur ein Notbehelf.

Bekanntlich ist die Entwicklung der Optik so verlaufen, daß nach Newton zunächst für lange Zeit die Wellentheorie zu einem eindeutigen Siege kam wenn auch manche Physiker noch hartnäckig an der Korpuskulartheorie festhielten, die sie durch die Autorität Newtons gestützt glaubten ? daß aber die neueste Physik doch nicht mit der Wellentheorie auskam und schließlich zu etwas gekommen ist, was man oberflächlich in der Tat für eine Mischung von Korpuskular- und Wellentheorie ansehen könnte. Daraus könnte man folgern: Also sei Newton mit der Verbindung beider, die ihm offenbar vorschwebte, doch auf dem richtigen Wege gewesen. Das wäre jedoch nicht korrekt. Denn die Erscheinungen, welche die neue Wendung der Physik veranlaßten, waren zu Newtons Zeit nicht bekannt. Tatsächlich konnten alle damals bekannten optischen Erscheinungen
Autorität Newtons gestützt glaubten ? daß aber die neueste Physik doch nicht mit der Wellentheorie auskam und schließlich zu etwas gekommen ist, was man oberflächlich in der Tat für eine Mischung von Korpuskular? und Wellentheorie ansehen könnte. Daraus könnte man folgern: Also sei Newton mit der Verbindung beider, die ihm offenbar vorschwebte, doch auf dem richtigen Wege gewesen. Das wäre jedoch nicht korrekt. Denn die Erscheinungen, welche die neue Wendung der Physik veranlaßten, waren zu Newtons Zeit nicht bekannt.Tatsächlich konnten alle damals bekannten optischen Erscheinungen mit der Wellentheorie einwandfrei erklärt werden; so daß es gerechter ist zu sagen, nicht Newton, sondern Huygens und seine Nachfolger waren auf dem richtigen Wege.

 

c) Huygens

Der Holländer Christian Huygens (1629 bis 1695) ist der einzige unter den Naturwissenschaftlern des 17. Jahrhunderts, der nach Vielseitigkeit und Ursprünglichkeit seines Genies einen Vergleich mit Isaac Newton aushalten kann. Huygens' wichtigere Arbeiten liegen genau auf den gleichen Gebieten wie die Newtons: Er war ein bedeutender Mathematiker - er führte ja Leib in die Geheimnisse dieser Wissenschaft ein und stand in lebhaftem Austausch mit ihm. Er leistete einen wesentlichen Beitrag zur Astronomie - der weiter oben S. 296 erwähnt wurde. In der Physik liegen seine Hauptverdienste wie die Newtons in Mechanik und Optik.

Huygens' Lichttheorie ist niedergelegt im Traité de la lumière - Traktat über das Licht - den er 1678 der Académie des Sciences in Paris vorlegte. Als Buch erschien die Abhandlung 1690. Auch Huygens legt die Vorstellung des Äthers zugrunde, als eines feinen und schmiegsamen Mediums, das den ganzen Raum gleichmäßig erfüllt. Er macht sich aber ganz frei von der Vorstellung, daß das Licht aus Teilchen bestehe, und erklärt alle Lichterscheinungen so, daß der leuchtende Körper in diesem Medium Störungen hervorruft, die sich als regelmäßige Schwingungen nach allen Seiten ausbreiten.

Einer der Einwände Huygens' gegen die Korpuskulartheorie war folgender. Lichtstrahlen können einander durchkreuzen, ohne sich zu stören. Wenn ein Strom von festen Teilchen auf einen anderen trifft, so muß mindestens ein Teil der Körperchen miteinander zusammenprallen; diese Teilchen müßten auf ihrem Wege gebremst werden und zu Boden fallen. Nichts dergleichen ist aber zu beobachten. - Huygens zeigte im einzelnen, daß die Wellentheorie nicht nur die Durchkreuzung von Lichtstrahlen, sondern auch alle anderen bekannten Beobachtungsergebnisse besser erklärte. Er vermochte zum Beispiel mit dieser Theorie zu erklären, warum beim Grimaldischen Versuch kein scharf abgegrenzter Schatten entsteht. Eine andere Erscheinung, die Huygens erklären konnte, war die von dem Dänen Erasmus Bartolinus 1670 entdeckte Doppelbrechung durch den Kalkspatkristall.

Schallwellen sind longitudinal. jedes Luftteilchen bewegt sich hin und her in der Richtung, in der der Schall sich fortpflanzt. Wasserwellen sind transversal. Die einzelnen Wasserteilchen schwingen auf und nieder, das heißt sie bewegen sich rechtwinklig zur Fortpflanzungsrichtung der Wellen. Wie schwingen Lichtwellen? Huygens erklärte sie nach Art der Schallwellen, als longitudinal. Natürlich konnten es, da das Licht sich im Gegensatz zum Schall auch im luftleeren Raum fortpflanzt, nicht Luftteilchen sein, welche die Schwingungen vollführen. Hier half die Annahme des Äthers, der auch den luftleeren Raum erfüllt. In diesem Punkte war Hooke, der die Annahme transversaler Wellen bevorzugte, auf dem richtigeren Wege. Aber es sollte noch sehr lange dauern, bis die richtigen Einsichten Hookes und Huygens' verbunden wurden. Den größten Teil des 18. Jahrhunderts hindurch kam die glänzende Lehre Huygens' nicht zur rechten Wirkung, weil man - irrtümlicherweise, wie wir gesehen haben - die Korpuskulartheorie durch den großen Newton gestützt glaubte. Erst gegen und nach 1800 bauten Young und Fresnel die Wellentheorie weiter aus und führten sie zum Siege. -

Huygens' zweites Hauptwerk ist das Horologium oscillatorium aus dem Jahre 1673. Von Uhren, wie es der Titel anzeigt, handelt nur etwa die Hälfte des Werkes. Die andere Hälfte bringt neue Erkenntnisse für die Mechanik. Huygens befaßte sich mit der Theorie der Schwingungs? und Kreisbewegung. Für die Kreisbewegung fand er die Beziehungen zwischen der Zentrifugalkraft, der Geschwindigkeit des sich drehenden Körpers, dem Durchmesser des Bewegungskreises und der bewegten Masse. Für die Pendelbewegung fand er die Beziehungen zwischen der Länge eines Pendels und seiner Schwingungsperlode.
Diese Erkenntnisse verwertete Huygens bei der Konstruktion seiner Pendeluhr, die er 1657 erfand, 1658 patentiert erhielt und in der eben genannten Schrift beschreibt. Von Wasser? und Sanduhren haben wir früher gehört. Sie haben den Nachteil, daß sie nach einer gewissen Zeit ablaufen; man muß sie dann neu in Gang setzen durch einen Eingriff, der die Zeitmessung stört. Galilei hatte die Vorteile erkannt, die sich aus der Verwendung des Pendels als Zeitmesser ergeben, war aber mit der praktischen Konstruktion einer Pendeluhr noch nicht zu Rande gekommen. Es kam vor allem darauf an, dem schwingenden Pendel ständig etwas neue Energie zuzuführen, damit es nicht durch Reibung und Luftwiderstand allmählich zum Stillstand käme. Diese Energie, zum Beispiel der Zug des aufgehängten Gewichts, mußte aber so zugeführt werden, daß die gleichmäßige Schwingung des Pendels nicht beeinträchtigt würde. Das heißt praktisch, das Pendel mußte die Zeitmomente der Zufuhr neuer Energie selbst bestimmen. Dies gelang Huygens mit der Anordnung, die man heute init einem der Elektrotechnik entnommenen Ausdruck Rückkopplung nennt.

 

3. Gase

Die jedermann bekannten Schwierigkeiten, Gase zu erkennen, zu isolieren oder sonst mit ihnen umzugehen, ließen erst sehr spät ein wissenschaftliches Studium der Gase aufkommen. Die seltsamen Eigenschaften der Luft, die so ungreifbar, scheinbar unwägbar und auch unsichtbar ist und doch im Sturm eine solche Gewalt ausüben kann, die offenbaren Beziehungen zwischen der Luft und dem Atem der Lebewesen ließen in alten Zeiten Vorstellungen entstehen, durch die die Luft mit der Seele oder auch mit dem Göttlichen fast gleichgesetzt wurde.
Nebel, Dämpfe und ähnliches waren mit im Begriff eingeschlossen, wenn man im Altertum von "pneuma~' oder "spiritus" sprach - Wörter, die in diesem Bedeutungsgehalt kaum zu übersetzen sind. In der Physiologie glaubte man an "Lebensgeister", die im Blute transportiert wurden. Dieses geheimnisvolle Etwas glaubte man in flüssiger Form einfangen, gewissermaßen kondensieren zu können. Unsere Wörter "Weingeist" oder Spiritus (in der modernen Bedeutung) lassen noch solche Vorstellungen anklingen.

Wie erwähnt, war es in der Neuzeit der Holländer van Helmont (S. 247), der als einer der ersten mit dem Studium der Gase begann und der auch das Wort "Gas" prägte. In der Wahl dieses Wortes klingt möglicherweise noch die Verbindung mit "Geist" nach; nach anderen hängt es mit "Chaos" zusammen. Der Bahnbrecher exakter quantitativer Forschung war auch auf diesem Gebiet Galilei. Berühmt ist sein experimentell geführter Nachweis, daß die Luft schwer, also ein materieller Körper ist. Galilei wog auf einer genauen Waage eine Flasche, in die er Luft hineingepreßt hatte, indem er die Gewichte durch hinzugefügte Sandkörner so genau wie möglich bestimmte. Dann ließ er die gepreßte Luft aus der Flasche. Diese wurde leichter. Galilei fügte auf der Gegenschale Sandkörner hinzu, bis das Gleichgewicht wieder hergestellt war. Der Versuch ist in den Dialogen über zwei neue Wissenschaften beschrieben. Es ist kein Zweifel, fügt Galilei hinzu, daß das Gewicht der hinzugefügten Sandkörner dem Gewicht der jetzt entwichenen Luft entspricht. Aber wieviel wiegt die Luft: tatsächlich im Verhältnis zu Wasser oder irgendeinem anderen schweren Stoff? Galilei gibt einen Weg an, das zu ermitteln. In ein Gefäß, das nur die natürliche" (das heißt dem atmosphärischen Druck entsprechende) Menge Luft enthält, wird Wasser hineingezwängt, ohne daß Luft entweichen darf. Die Luft wird komprimiert. Das Gefäß wird gewogen. Dann läßt man, indem man das Gefäß aufrecht hält und öffnet, die Luft heraus, die durch das Wasser von ihrem Platz verdrängt war. Die Waage erweist das Gefäß jetzt als leichter. Die Gewichtsdifferenz gibt das Gewicht der Luftmenge, die durch die eingepreßte Flüssigkeitsmenge verdrängt wurde.

Ein Problem hatte Galilei nicht lösen können. Der Herzog von Toscana hatte einen Brunnen graben lassen, 40 Fuß tief. Eine Pumpe - Pumpen kannte man seit alter Zeit - sollte das Wasser heraufbringen. Etwas Unerhörtes geschah. Das Wasser stieg nicht höher als bis etwa sechs Fuß unterhalb der Erdoberfläche. Galilei wurde um Rat gefragt, aber auch er wußte keinen.

 

a) Torricelli und Pascal

Die Lösung des Rätsels fand Galileis Schüler Evangelista Torricelli (1608 bis 1647). Er erriet die Ursache und stellte, um seine These zu erproben, folgendes Experiment an. Eine lange, dicke Glasröhre - die Herstellung hatte viel Mühe gemacht -, die an einem Ende verschlossen war, füllte er mit Quecksilber, verschloß das untere Ende mit dem Daumen, tauchte dieses Ende in ein mit Quecksilber gefülltes Becken und ließ die Öffnung frei. Das Quecksilber in der Röhre sank, aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Eine etwa 75 Zentimeter hohe Säule blieb stehen. Zweierlei war bewiesen: Ein Vakuum ist möglich. Seit Aristoteles hatte man geglaubt, die Natur habe einen "horror vacui", einen Abscheu vor dem Leeren. In Torricellis Röhre oberhalb des Quecksilbers war aber eine solche Leere, denn keine Luft konnte dort hineindringen. Zweitens war klar geworden, daß es der Druck der Luft ist, welcher der Quecksilbersäule das Gleichgewicht hält. Torricelli hatte Quecksilber gewählt, weil es schwer ist und nicht verdampft, er konnte leicht beweisen, daß bei Wasser die Säule entsprechend höher sein müsse, jedoch niedriger als die 40 Fuß, die der Brunnen tief war. So war das "Versagen" der Pumpe erklärt.

Torricellis Behauptung über den Luftdruck fand viel Widerspruch. Blaise Pascal (S. 286) bestätigte sie durch ein nicht weniger berühmtes Experiment. Pascal sagte sich, wenn die Quecksilbersäule durch den Druck der Luft gehalten wird, so muß die Höhe der Säule bei wechselndem Luftdruck ebenfalls wechseln. Pascal lebte in Rouen. Er wiederholte das Experiment Torricellis zunächst am Fuße und auf der Spitze des Turms der dortigen Kathedrale. Die festgestellte Differenz schien ihm jedoch zu gering, um einwandfreie Schlüsse zuzulassen. Ein Schwager Pascals im Bergland der Auvergne wiederholte auf Bitten Pascals den Versuch. Am Fuße eines Berges ließ er einen Versuchsapparat mit zwei Beobachtern zurück. Den anderen trug er auf den Berg hinauf. Es ergab sich ein deutlicher Unterschied von mehreren Zentimetern. Als er abwärts ging, stieg die Höhe seiner Quecksilbersäule und hatte am Fuße des Berges wieder die gleiche Höhe wie die dort verblieben.

Auf Torricellis Entdeckung beruht das Quecksilberbarometer. Heute werden meist andere Formen von Barometern verwendet.

 

b) Otto von Guericke

Ohne von Torricellis und Pascals Versuchen zu ahnen, stellte Otto von Guericke (1602 bis 1686), Bürgermeister von Magdeburg, eine Serie berühmt gewordener Versuche an. Guerickes Ausgangspunkt war ein Problem der Astronomie. Die Planetenbewegungen waren ja das große Thema dieser Jahre. Bewegten sich die Planeten im luftleeren Raum? Guericke meinte, es müsse so sein, weil sie sonst durch den Widerstand der umgebenden Luft allmählich zum Stillstand kommen müßten. Guericke war vom gleichen Geiste wie Galilei. Die Frage müsse am besten experimentell geprüft werden, sagte er sich: man müsse versuchen, selber ein Vakuum herzustellen.
Zuerst versuchte er, aus einem mit Wasser gefüllten Gefäß das Wasser herauszupumpen, ohne daß Luft eindringen konnte. Das erwies sich zunächst als unmöglich. Es dauerte nicht lange, bis trotz aller Vorsicht die Luft mit lautem Zischen in das Gefäß drang. Mit einem doppelt verstärkten Kupfergefäß kam Guericke etwas weiter. Zwei Männer konnten mit äußerster Kraftanstrengung eine Welle pumpen. Aber dann zersprang das Gefäß mit gewaltigem Krach. Ein dritter Versuch gelang. Guericke ging einen Schritt weiter und pumpte die Luft aus einem Gefäß, ohne es vorher erst mit Wasser zu füllen. Mit der Änderung, die er dazu an seiner Pumpe vornehmen mußte, erfand er die Luftpumpe.
Guericke ersann eine Reihe von Versuchen, die schlagend die gewaltige Kraft des Luftdrucks bewiesen. Am bekanntesten sind seine sogenannten Magdeburger Halbkugeln. Zwei Halbkugeln von etwa einem halben Meter Durchmesser wurden lose aneinander gefügt und dann durch eine Luftpumpe leergepumpt. Es bedurfte der Kraft von je acht Pferden an jeder Halbkugel, um sie auseinander zureißen. Guericke führte seine Experimente auf dem Reichstag dem Kaiser vor.

c) Boyle

Der Engländer Robert Boyle, dem wir im folgenden Abschnitt erneut begegnen werden, und sein Assistent Hooke machten mit Hilfe der von Guericke erfundenen Luftpumpe - die sie dabei verbesserten - weitere Versuche mit der Luft. Sie untersuchten ihr Gewicht und ihre Elastizität. Dabei entdeckten sie das Gesetz, das man in den angelsächsischen Ländern meist nach Boyle benennt (auf dem Kontinent auch nach dem Franzosen Mariotte, der es ebenfalls formulierte): Das Volumen eines Gases - gleichbleibende Temperatur vorausgesetzt - nimmt ab im umgekehrten Verhältnis zu dem darauf ausgeübten Druck. Verdoppelter Druck läßt also das Volumen des Gases auf die Hälfte zusammenschrumpfen. Wird der Druck wieder auf die Hälfte reduziert, nimmt das Gas sein altes Volumen wieder ein. - Natürlich läßt sich das nicht beliebig fortsetzen, da man sonst durch immer weitere Steigerung des Drucks schließlich das Gas praktisch auf das Volumen 0 zusammendrängen könnte. Das heißt, das Gesetz stimmt nur für Drücke, die einen bestimmten Wert nicht übersteigen.

4. Die Struktur der Materie

Die im Altertum von Leukippos und Demokritos entwickelte und von Epikur und Lucrez glänzend vertretene Atomtheorie war das ganze Mittelalter hindurch unbeachtet geblieben. Man neigte mehr zu der auf Aristoteles zurückgehenden Annahme einer stetigen Beschaffenheit der Körper. Das 17. Jahrhundert griff die alte Atomtheorie wieder auf, weil sie seinem Bedürfnis nach mathematischer Naturerklärung entgegenzukommen schien.

Als Wiedererwecker der Theorie gilt vor allein der Franzose Pierre Gassendi (1592 bis 1655). Gassendi ist der Gegenspieler seines Zeitgenossen Descartes in der Philosophie; doch darin, daß die Naturvorgänge mechanisch zu erklären seien, ist er mit ihm einig. Gassendi vertrat wie Demokrit die Ansicht: Alle Materie besteht aus Atomen und außer den Atomen gibt es nichts als leeren Raum. Die Atome bestehen alle aus dem gleichen Stoff, hart und unzerstörbar, ähnlich Sandkörnern, nur viel kleiner. Sie unterschieden sich durch ihre Größe und ihre Form. Gassendi gab eine im Prinzip zutreffende Deutung der drei Aggregatzustände fest, flüssig und gasförmig mit Hilfe der Atome. In anderen Punkten irrte er.

Doch nicht Gassendi allein - die meisten großen Naturforscher, die wir in diesem Kapitel betrachtet haben, neigten zur Atomtheorie. Das gilt schon für Francis Bacon, der auch die Wärme als Bewegung der Atome erklärte. Es gilt für Galilei, es gilt in gewissem Sinne für Descartes; es gilt vor allem auch für Boyle und Newton.

Bei Newton findet sich gleich im Vorwort der Principia die Bemerkung: "Möchte es gestattet sein, die übrigen Erscheinungen der Natur" (das heißt die in den Principia nicht behandelten) "auf dieselbe Weise" (nämlich wie Newton hier die Bewegungen der Planten, Kometen, Monde und des Meeres aus der Gravitation ableitet) "aus mathematischen Prinzipien abzuleiten! Viele Beweggründe bringen mich zu der Vermutung, daß diese Erscheinungen alle von gewissen Kräften abhängen können. Durch diese werden die Teilchen der Körper nämlich, aus noch nicht bekannten Ursachen, entweder gegeneinander getrieben und hängen als dann als reguläre Körper zusammen, oder sie weichen voneinander zurück und fliehen sich gegenseitig" Dies ist, wenn es auch nur beiläufig ausgesprochen ist, schon ein Schritt über die alte Atomtheorie, die auch noch Gassendi vertrat, hinaus, indem Newton hier von Kräften spricht, die zwischen den kleinsten Teilchen wirken sollen.

In ganz ähnlichem Sinne heißt es bei Boyle, er betrachte die Erscheinungen der Natur "als verursacht durch die örtliche Bewegung der materiellen Teilchen, indem eines gegen das andere trifft."

Wir brauchen diese Dinge hier nur zu streifen. Diese Männer sahen wohl das Ideal einer Theorie, die alle Erscheinungen auf die Bewegungen der Atome und die von ihnen ausgehenden oder auf sie wirkenden Kräfte zurückführte Aber es war noch ein weiter Weg bis zu diesem Ideal zurückzulegen. Erst mit dem Ende des 18. Jahrhunderts kam man ihm tatsächlich näher.

5. Boyle. Anfänge der wissenschaftlichen Chemie

An mehreren Stellen unserer bisherigen Wanderung haben wir auf das Wissen gedeutet, das sich durch die Jahrhunderte allmählich ansammelte auf dem Gebiet, das wir heute Chemie nennen. Es waren nur kleine Ausschnitte, die dabei sichtbar wurden; jeder nähere Blick zeigt, daß an zahllosen Stellen verstreut beim Beginn der Neuzeit schon eine große Menge von Wissen auf diesem Gebiet angesammelt war - soviel, daß eine einigermaßen ausgewogene Fachgeschichte der Chemie immerhin etwa 15 - 25 Prozent ihres Raumes der Zeit vor dem 17. Jahrhundert zuteilen muß. Und doch: Sobald man sich vergegenwärtigt, welchen Umfang dieChemie und ihre Anwendungen heute haben, sobald man nur einen Augenblick an die Tausende von chemischen Fabriken in allen Industriegebieten der Welt denkt, an die schlechthin unübersehbare Zahl der Stoffe, die sie herstellen, der Verfahren, die sie anwenden, an das Maß von Wissen, auf dein dieses alles aufgebaut ist - so wird man zu dem Urteil kommen, daß im 17. Jahrhundert das Reich der Chemie eigentlich noch wie ein riesiges praktisch unbetretenes Neuland dalag.
Wir wissen nicht, wie groß das unbetretene Neuland sein mag, das wir auch heute noch vor uns haben. Aber der Chemiker, der heute auszieht, neues Land zu erobern, hat ein gewaltiges Arsenal von Instrumenten und Techniken; seine Ausbildung hat ihm mindestens die Richtung angegeben, in der er gehen muß; er trägt schon eine Landkarte in seinem Kopfe, auf der die noch bestehenden "weißen Flecken" erkennbar sind. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts besaß man nichts dergleichen. Es war das Verdienst des Engländers Robert Boyle (1627-1691), daß er der nun entstehenden Wissenschaft der Chemie einen Aktionsplan gab, eine Ausgangshypothese und die Richtung, in der sie - wie sich zeigte, erfolgreich voranschreiten konnte.

Wir haben Boyle schon mehrfach als führendes Mitglied der Royal Society erwähnt. Boyle war eines aus der großen Kinderschar des berühmten Earl of Cork. Er war ein Wunderkind, das Latein und Französisch spielend lernte, mit acht Jahren nach Eton geschickt wurde und mit vierzehn Jahren die Ergebnisse Galileis in Florenz studierte. Mit siebzehn Jahren beschloß er, sein Leben der Wissenschaft zu weihen.

1661 erschien Boyles Buch The Sceptical Chymist - Der skeptische Chemiker, skeptisch, weil Boyle mit großem Mißtrauen auf alles blickte, was bisher in der Chemie versucht worden war:

Die Chemiker haben sich bisher durch enge Prinzipien, die der höheren Gesichtspunkte entbehren, leiten lassen. Sie erblickten ihre Aufgabe in der Bereitung von Heilmitteln, in der Extraktion und Transmutation der Metalle. Ich habe versucht, die Chemie von einem ganz anderen Gesichtspunkt zu behandeln, nicht wie dies ein Arzt oder Chemiker, sondern ein Philosoph tun sollte. Ich habe hier den Plan einer chemischen Philosophie gezeichnet, die, wie ich hoffe, durch meine Versuche und Beobachtungen vervollständigt werden will. Läge den Menschen der Fortschritt der wahren Wissenschaft, mehr am Herzen als ihre eigenen Interessen, dann könnte man ihnen leichter nachweisen, daß sie der Welt den größten Dienst leisten würden, wenn sie alle ihre Kräfte einsetzen, um Versuche anzustellen, Beobachtungen zu sammeln und keine Theorie aufzustellen, ohne zuvor die darauf bezüglichen Erscheinungen geprüft zu haben.

In Boyles Buch treten, ähnlich wie in Galileis Dialogen, drei Personen auf. Der eine vertritt Aristoteles und die alte Lehre von den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Der zweite ist ein Anhänger des Paracelsus und der Alchimie. Der dritte ist der Skeptiker", der die Ansichten und Beweisgründe beider in Stücke zerreißt. Wir brauchen dem nicht nachzugeben, wie Boyle, unter steter Bezugnahme auf Experimente, im einzelnen zeigt, daß den alten sogenannten Elementen keineswegs dieser Name zukomme, Wichtiger ist das Ergebnis: Da die Existenz der vier Elemente durch kein einziges Experiment erwiesen ist, kann diese Lehre nicht als wahr angesehen werden. Ein Stoff, der nicht völlig homogen ist, sondern noch in mehrere wenn auch noch so kleine Mengen anderer Stoffe zerlegt werden kann, darf nicht Element genannt werden. Elemente sind nur einfachste und völlig homogene Stoffe, die auf keine Weise weiter zerlegt werden können.

Boyle sagt nicht, wieviel Elemente es gibt und welche es sind. Er gibt gewissermaßen nur das Signal: Sucht die Elemente - und sucht sie mit dem Experiment!

Die Chemie folgte diesem Befehl. Allerdings recht langsam! Erst das 18. Jahrhundert begann, das Boylesche Programm mit realem Gehalt zu erfüllen. So können wir die Chemie für dieses Kapitel schon verlassen, wollen aber noch einige von Boyles Einzelergebnissen erwähnen.

Bei ihren Versuchen mit der Luftpumpe stellten Boyle und Hooke fest, daß in einem Gefäß, aus dem sie den größten Teil der Luft gepumpt hatten, kein Tier leben konnte. Auch Verbrennung war darin nicht mehr möglich. Luft war also sowohl zur Atmung wie zur Verbrennung unentbehrlich. Sie finden auch, daß es offenbar ein bestimmter Bestandteil der Luft war, der diesen Prozessen diente. Luft war demnach ein Gemisch, in dem der hier benötigte "aktive" Bestandteil mit anderen vermengt war. Ähnliche Versuche, die der englische Jurist und Chemiker John Mayow (1643 bis 1679) anstellte und 1674 veröffentlichte, führten ihn zum selben Resultat. Tatsächlich gelang es Boyle sogar, den Sauerstoff zu isolieren, ohne daß er dessen gewahr wurde. Man war hier auf der Schwelle zur richtigen Deutung der Verbrennung und der Atmung. Und doch gelang dies erst ein rundes Jahrhundert später. Das war hauptsächlich die Schuld der sogenannten Phlogiston-Theorie, mit der wir im nächsten Kapitel die Betrachtung der Chemie wieder aufnehmen werden.

 


 Isaac Newton, Manuskript, wahrscheinlich aus dem Jahre 1716, zit. bei Jeans: Werdegang der exakten Wissenschaft

 Isaac Newton: Principia Mathematica, zit. n. Zinner, Astronomie, S. 148. Benutzt wurde ferner auch die Ausgabe: Isaac Newton: Mathematische Principien der Naturlehre, Hrsg. v. J. Ph. Wolfers, berlin 1872. Quellenangabe jedoch nach Zinner

 21 Wie Anm. 20 S. 156/57

  22 Wie Anm. 20 S. 158

 23 Vorwort Principia

 24 Wie Anm. 20 S. 162

  Wie Anm. 20 S.141 f., auch das folgende.

Wie Anm. 20 S. 147

Robert Boyle: The Sceptical Chymist. zit. nach Kultur der Gegenwart, hrsg. v. Paul Hinnberg, III Teil, III. Abtlg., 2. Bd. (1913), S.3


Autor: Hans Joachim Störig
Titel: Kleine Weltgeschichte der Wissenschaft
Kurzbeschreibung:
Verlag Verlag W. Kohlhammer GmbH Stuttgart 1954
ISBN-Nummer: -keine- vergriffen
Literatur und Bearbeitung
Bearbeitung (www): Klaus-G. Häusler

© 2002 HMTC - Halbmikrotechnik Chemie;
Klaus-G. Häusler haeusler[at]muenster[dot]de
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