Ostwald´s Klassiker der exakten Naturwissenschaften

Nr. 42

Das Volumgesetz gasförmiger Verbindungen

Abhandlung von Alex. von Humboldt und J.F. Gay-Lussac

(1805-1808.)

Herausgegeben von W. Ostwald.

Leipzig

Verlag von Wilhelm Engelmann

 

 

 

 

Anmerkungen

In vorliegendem Bändchen finden sich die Abhandlungen zusammengestellt, in welchen die Entdeckung, dass die Gase sich nach einfachen rationalen Volumverhältnissen verbinden und umsetzen, der wissenschaftlichen Welt mitgetheilt worden ist. Es sind deren zwei. Die erste, von Alex. von Humboldt und J. F. Gay-Lussac den 21. Jan. 1805 dem Institut vorgelegte, und hernach im Journal de Physique; 60; 129-158 "an XIII" veröffentlichte Abhandlung führt den Titel; Experiences sur les moyens eudiométriques et sur la proportion des principes constituants de l´atmosphère und hat eine zunächst technische Untersuchung der Hilfsmittel zum Zwecke, durch, welche der Sauerstoffgehalt der atmosphärischen Luft bestimmt werden kann. In dieser an werthvollen Beobachtungen reichen Arbeit wurde festgestellt, dass das Verhältniss, nach welchem Sauerstoff und Wasserstoff sich verbinden, völlig constant und unabhängig vom Ueberschuss des einen wie des anderen ist, und zwar bis zu den Grenzen, innerhalb deren überhaupt völlige Verbrennung stattfindet. Die von Volta angegebene eudiometrische Methode der Verpuffung der Luft mit dberschüssigem Wasserstoff ergab sich darnach als prinzipiell gut,: und einer hohen Genauigkeit fähig. 

Bei der Bestimmung des Zahlenwerthes des fraglichen Verhältnisses fanden Humboldt und Gay-Lussac es mit der runden Zahl 1: 2 innerhalb der Versuchsfehler übereinstimmend, nämlich 1:1,9989. Dies Ergebniss entspricht sehr nahe der Wahrheit, denn die neueren, überaus sorgfältigen Versuche von E. A. Morley (Amer. Journ. of  Sc. [3] 41, 220. 1891) stellen das Verhältniss auf 1:2,002 fest.

Von der Abhandlung ist nur der Theil hier wiedergegeben, die anderen Theile, die Anwendung der Schwefelalkalien zur Eudiometrie, die Zusammensetzung der atmoshärischen Luft unter verschiedenen Umständen (S. 129-134 und 152-157 des Originals) sind, als mit dem Zwecke des vorliegenden Abdruckes in keiner unmittelbaren Bezielhung stehend, fortgelassen worden.

Die zweite der hier abgedruckten Abhandlungen ist von Gay-Lussac allein verfasst und unter dem Titel Mémoire sur la combinaison des substances gazeuses, les unes avec les autres in den Mémoire de physique et de chimie de la société d'Arcueil, t. II, p. 206-234 und 252-253, 1809 veröffentlicht worden, nachdem sie der Sociéte Philomatique am 31. Dec. 1808 vorgelegt worden war. In Verfolgung des beim Sauerstoff und Wasserstoff erhaltenen Ergebnisses prüfte Gay-Lussac weiter die Volumverhältnisse gasförmiger Verbindungen und, gelangte so zu der Entdeckung des Gesetzes; dass in allen Fällen chemischer Vorgänge  zwischen Gasen die Volume vor und nach dem Vorgang in einfachen Verhältnissen stehen.

Diese Entdeckung hat einen ungemein grossen Einfluss auf die Entwicklung der Chemie ausgeübt. Indem sie fast gleichzeitig mit der des Gesetzes der multiplen Proportionen von Dalton und Wollaston (vgl. Classiker Nr.3 an die Öffentlichkeit gelangte, bildete sie im Verein mit den etwas späteren Arbeiten von berzelius (Classiker(Nr.53)) die Grundlage für die Theorie der chemischen Verbindungen, welche wir gegenwärtig besitzen.

Die unmittelbaren Versuche zum Nachweis des fraglichen Gesetzes, welche Gay-Lussac, mit mittheilt, sind nicht eben zahlreich; sie beschränken sich auf dieReaktionen des Ammoniaks auf Borfluorid, Kohlendioxyd und Chlorwasserstoff. Indessen erkannte Gay-Lussac alsbald, dass jede Bestimmung einer Gasdichte sich zu einer Prüfung seines Gesetzes verwerthen lässt, wenn die Dichten der anderen in in Betracht kommende nicht-gasförmigen Stoffe bekannt sind, und hat dieses Prüfungsmittel ausgiebeig verwerthet. In diesem  Verfahren, die Consequenzen der unmittelbaren Beobachtung möglichst weit zu verfolgen, liegt ein grosser vorbildlicher Werth der Abhandlung.

Was den deutscen Text der Ausgabe anlangt, si ist ihm wesentlich die Uebersetzung zu Grunde gelegt, welche Gilbert in seinen Analen der Physik (20, 38-80, 1805 und 36, 6-36, 1810) von beiden Arbeiten gegeben hat; doch ist in der Text nochmals mit dem Original verglichen und wo nöthig geändert und ergänzt worden. Die in den eckigen Klammern beigefügten Seitenzahlen beziehen sich auf die Originalabhandlungen im Journ. de Physique, resp, Mém. d'Arcueil.

1) Zu S. 23. Die Vorgänge zwischen Ammoniak und Kohlendioxyd und Borfluorid sind weit verwickelter, als Gay-Lussac annahm, der sie für einfache Salzbildungen hielt. Im ersten Falle entsteht, wie bekannt, carbaminsaures Ammon, CO2 + 2NH3 = NH4•O•CONH2 . Was sich bei der Wechselwirkung von Fluorbor mit Ammoniak bildet, harrt noch genauerer Untersuchung, da seit den alten Versuchen von J. Davy (Phil. Trans. 1812, 368) sich Niemand mit der Frage beschäftigt zu haben scheint.

2) Zu S. 24, Anmerkung. Die Vorstellung, dass Chlorwasserstoffgas Wasser enthalte, welches sich durch keine Trockenmittel entfernen lasse, ist durch die von Lavoisier herrührende irrthümliche Annahme entstanden, dass die Salze Verbindungen von Oxyden mit Säuren seien. Da bei der Einwirkung des Chlorwasserstoffs z. B. auf Bleioxyd Wasser entsteht, so nahm man an, dass dieses Wasser in der Salzsäure vorhanden gewesen sein müsse, da seine Bildung auf Kosten des Sauerstoffs im Bleioxyd nach jener Voraussetzung nicht angenommen werden konnte.

3) Zu S. 25 und 26. Oxygenirtes Stickgas ist Stickstoffoxydul; N2O; Salpetergas ist Stickoxyd, NO. Die »verbrennliche Substanz aus Kali« ist.Kalium.

 4) Zu S: 26: Oxygenirte Salzsäure ist Chlor. Die in der Anmerkung 2 erwähnte irrthümliche Voraussetzung bedingt, da 'z. B. »salzsaures Bleioxyd« aus metallischem Blei und Chlor ohne Wasser entsteht, die Annahme, dass im Chlor nicht nur der Sauerstoff enthalten ist, welchen das Blei zur von Bleioxyd braucht, sondern auch noch derjenige, welchen jede Säure Lavoisier nothwendig enthalten musste.

5) Zu S. 30. Der Analogieschluss vom Schwefel auf den Phosphor ist irrthümlich; die sauerstoffverhältnisse in der phosphorigen und der Phosphorsäure (oder vielmehr in ihren Anhydriden) sind 3: 5 statt 1:2. 

6) Zu S.32. Vgl. Anmerkung 4,

7) Zu S.36. Diese Vermuthung.hai ich nicht bestätigt. Vielmehr haben gerade die Volumverhältisse gasförmiger Verbindungen dazu geführt, neben dem Aequivalbegriff, welcher zum vollständigen Ausdruck der Thatsachen nicht zureicht, den Molekularbegriff, als ein weiteres und ausgiebigeres Mittel zur Zusammenfassung der thatsächlichen Verhältnisse, zu schaffen.

Leipzig, April 1893. 

W. Ostwald.