Umsetzung der didaktischen Erkenntnisse in den naturwissenschaftlichen Unterricht

Inhaltsverzeichnis

  1. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse
  2. Selbstständigkeit lernen  
  3. Schule und Naturwissenschaft
  4. Lernprozess
  5. Lernklima
  6. Vertrauen - Kontrolle
  7. Kontrollmöglichkeit
  8. Information
  9. Kontaktaufnahme

 

 

1. Entwicklungspsychologische Erkenntnisse

Grundsätzlich lernt jeder heranwachsende Mensch freiwillig, einem eigenen inneren Antrieb folgend. Man hat aus eigener Erfahrung die kindliche Neugier und das "Selber-Machen-Wollen" ihrer Kinder kennen gelernt. Bei einem großen Teil von Kindern kann man diese Grundhaltung noch im Alter von 12-14 in den Klassenstufen 6-8 finden.

Von Natur aus lernen Kinder aus persönlicher Neugier und durch Nachahmung. In dieser Phase werden bereits graduell unterschiedliche Ausprägungen der Neugier deutlich. Aber auch der Wille zur Nachahmung und das Aufkommen "Eigenständigkeit" sind erkennbar.

Aus vielschichtigen Gründen nimmt dieser innere Drang bei vielen Heranwachsenden in den Klassen 9/10 ab. Hierfür sind sicherlich entwicklungspsychologische Gründe von Bedeutung, die man zusammgefasst mit "Pubertät" umschreibt. In dieser Zeit wird das Lernen durch Nachahmung schrittweise durch das Lernen aus eigener Erfahrung ersetzt.

 

Lernen - Wollen

2 Selbstständigkeit lernen

Während der Pubertät werden Kinder somit zu "Heranwachsenden". Als Heranwachsende setzen sie nun die bereits gewonnenen Erkenntnisse ihrer spezifisch eigenen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wunschvorstellungen um. Häufig kollidieren sie damit mit denen von außen an sie herangetragenen Anforderungen. Dieser Prozess ist, wie wir noch alle an uns selbst erfahren haben, mit viel Ausprobieren und Irrtümern verbunden. Uns Erwachsenen erscheint diese Phase "lästig", sie  ist aber unumgänglich, wenn die Kindern sich selbst und nicht das "Vorbild" verwirklichen wollen. Man muss daher "Fehler" der Kinder zulassen.

Gerade im Zulassen von Fehlern durch die Heranwachsenden besteht die Möglichkeit, die Fehler der Erwachsenen zu vermeiden. Die Aufgabe von Eltern und deren Stellvertretern, den "Erziehern" ist es, den Kindern in allen Entwicklungsphasen bei der Suche nach dem eigenen  Weg zu helfen und den möglichen Schaden durch Irrtümer dabei auf einem Minimum halten. 

Alle Schülerinnen und Schüler müssen letztlich bei Eintritt in der Oberstufe ihr Lernprogramm nach ihren Neigungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten selbst zusammenstellen.  Es ist es daher wichtig, dass sie frühzeitig ihren eigenen Antrieb erkennen und nutzen, sollen  sie nicht fremdbestimmt, mit sich und der Umwelt unzufrieden und verbittert, ihren  Lebensweg gehen.

 

Selbstständigkeit lernen

3 Schule und Naturwissenschaft

Im Grunde genommen ist die allgemeinbildende Schule in der mehrgliedrigen Form mit ihrem starren Stundenplan für das Erlernen von Sebstständigkeit nur sehr schlecht geeignet. Die "alte" Schule hat daher auch zunehmend Schwierigkeiten mit den Schülerinnen und Schülern  "von heute": Sie erwartet, dass etwa 30 Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit am  gleichen Ort zusammenkommen und das gleiche Interesse aufbringen, welches Richtlinien  und Lehrplan von "gestern" und ein einzelner Lehrer vorgeben. - Besser wäre eine offene Schulform, wo sich Schülerinnen und Schüler je nach Interessenlage zusammenfinden. Diese Form der Schulorganisation wäre am ehesten in einer Ganztagsschule zu organisieren. Probleme hierbei sind dann aber andersartig: die Beurteilung in klassischen Noten, die Bereitstellung von Räumen, die offenen Zeitplänen bis hin zur Versorgung mit Essen, Organisation von Ruhepausen und Ruhezonen. Nicht zuletzt gäbe es auch Transportprobleme bei Schulen mit großflächigem Einzugsbereich. Auch die Lehrer sind von der Ausbildung her nicht dafür vorbereitet. -

Über all das verfügt die derzeitige Schule mit ihrer starren Organisation nicht. Dennoch kann es gelingen, das natürlich vorhandene Interesse von Schülerinnen und Schülern im herkömmlichen Unterricht zu befriedigen.

Der naturwissenschaftliche Unterricht bietet Gelegenheit, die kindlichen Neugierde und den Drang, sich die Welt durch "Spielen" zu erschließen und in eine bewusste Haltung zum "Forschen" umzusetzen. Im Unterricht setze ich diese Prinzipien um, indem ich in den Klassen 6-9 Naturwissenschaften in Schülerübungen "er-leben" lasse, soweit es die Schule mit ihren institutionellen Möglichkeiten erlaubt.

Naturwissenschaftlicher Unterricht in Schülerübungen bietet hier einen möglichen Ausweg, Schülerinnen und Schüler am Unterrichtsgeschehen zu beteiligen; andere Formen wie Projektunterricht sind mit den vorgegebenen Stundenrastern, Raum-, Lehrer- und Finanzmangeln nur schwer realisierbar und setzen vor allem am Unterricht motivierte Schülerinnen und Schüler voraus.  Bringen Schülerinnen und Schüler tatsächlich eigene Vorstellungen in den  naturwissenschaftlichen Unterricht ein, was vielfach geschieht, ist eine hohe Flexibilität im Unterrichtsablauf erforderlich, dieses Interesse experimentell zu befriedigen. Hierdurch wird oftmals der klare sachlogische Unterrichtsgang zu Gunsten des aktuell interessierenden  Fragestellung durchbrochen. Nur einem Außenstehenden erscheint das Vorgehen sprunghaft,  es ist jedoch die einzige Möglichkeit, spontan aufkommenden Interesse an Naturphänomenen  durch "Begreifen" in Schülerübungen in Erlebtes umzusetzen.

Schülerübungen sind unbestritten aufwendiger vorzubereiten, mit Schülerinnen und Schülern  zu erarbeiten und zeitintensiver in der Durchführung. Sie bieten aber besonderen Raum, um Selbsterkenntnis, Selbstdisziplin und Teamarbeit zu erlernen. Ohne ein inneres Engagement und das Wissen um die eigenen Möglichkeiten und Grenzen, dem Erlernen von Strukturen der Teamarbeit und Anerkennung der persönlichen Eigenheiten anderer ist das nicht erreichbar. Diese hohen Lernziele sind Bestandteil der fächerübergreifenden Richtlinien und nur durch  stetige Übung und Anstrengung erreichbar.

 

 

4 Lernprozess

Zur Dokumentation und der Technik des Lernens durch Wiederholen wird in einer speziellen  Unterrichtsreihe das Mitschreiben erlernt. Diese muss eine Zeit lang zur Überprüfung der  Brauchbarkeit angewendet werden. Danach bekommen Schülerinnen und Schüler wieder für  eine gewisse Zeit die Freiheit, ihre eigene Form der Protokollführung anzuwenden.  Zentrales Ziel des Unterrichts: Schülerinnen und Schüler müssen in der Lage sein, das  Unterrichtsgeschehen der vorigen Stunde mit der Handlungsabsicht, dem Erreichten, dem  Nicht-Erreichten und dem Weg dorthin in 1-2 Minuten ohne Unterbrechung vortragen zu  können.
Um zu diesem Ziel zu gelangen, wird eine Unterrichtsreihe über "Lernen und Vergessen"  durchgeführt. Diese strukturiert die Zeit des Lernens vom Vorlernen durch "Schmökern" im  Lehrbuch (sehr wichtig!), über die Erarbeitung im Unterricht und dem Ergänzen der  Unterrichtsinhalte am gleichen Tage zu Hause, die Umsetzungen in einen kurzen  Stundenbericht und das Wiederholen (z.B. beim Packen der Tasche) am Vortag des nächsten  Unterrichts. Am Anfang der Stunde werden Fragen zum Unterrichtsthema beantwortet; dann  erfolgt die Überprüfung und Bewertung des Gelernten durch den Lehrer.  Die Stellung des Buches im Unterrichtsgeschehen führt häufig zu Missverständnissen. Die an  unserer Schule eingeführten Lehrbücher sind qualitativ so wertvoll, dass man geneigt sein  könnte, ausschließlich nach dem Lehrbuch vorzugehen. In der Tat geben die Lehrbücher nicht  nur die naturwissenschaftlichen Sachverhalte, sondern stellen auch den naturwissenschaftlich-argumentativen Weg dorthin geeignet dar. Sie sind von fachlich hochqualifizierten  Lehrerinnen und Lehrern erstellt, die viel Zeit aufgewandt haben, die Sachverhalte  verständlich zu machen. Anders als das im Unterricht erlebte Experiment ist der Buchinhalt  eine Konserve und entzieht sich der persönlichen Einflussnahme. Wie  "Lebensmittelkonserven" können sie Gelerntes bewahren und in Bedarfsfällen aktiviert  werden. Es ist unverzichtbar zum vergleichenden Nacharbeiten nach einer Unterrichtsstunde  und zum zusammenfassenden Lernen von Fakten, will man wie der Volksmund sagt, in  Notfällen "ans Eingemachte" gehen könne. Um das zu Erlernen, wird eine Unterrichtsreihe  mit dem Thema "Arbeiten mit dem Lehrbuch" durchgeführt. Für das selbst mitgeschriebene  Protokollheft besteht die immerwährende Aufgabe, durch Aufsuchen der zum  Unterrichtsthema gehörenden Buchabschnitte und Abschreiben der Merksätze zu  dokumentieren, dass man sich über den Umfang des Unterrichts hinaus informiert hat. - Die  Arbeit mit dem Buch ist also vorwiegend Hausaufgabe, oft um ein Thema vorzubereiten,  immer jedoch, um es nachzubereiten. Insbesondere werden Übungsaufgaben in der Physik dem Lehrbuch entnommen und besprochen.

 

5 Lernklima

Um die hohen Lernziele des selbstständig und eigenverantwortlichen Lernens zu errreichen, ist ein positives Lernklima erforderlich. Im Unterricht wird es vorwiegend durch Aufgreifen von Ideen von Schülerinnen und Schülern, Lob und anerkennende Beurteilung der Leistung erreicht.  Erweisen Lernerfolgsüberprüfungen Defizite, werden ermahnende Gespräche geführt, nicht ohne den Hinweis, dass Minderleistungen festgestellt werden und am Ende im Zeugnis dokumentiert werden müssen. Immer werden Schülerinnen und Schüler darauf verwiesen, dass sie Defizite eigenverantwortlich beheben sollten, wenn sie das im Lehrplan vorgegebene  Ziel erreichen wollen. - Kinder, die in einem Klima heranwachsen, das von allseitigem Leistungsdruck und Zwangsmaßnahmen geprägt ist, lassen die Kinder einen freundlichen Umgang ohne Repressionen des Lehrers als Schwäche desselben einstufen.
Hier ist die Mitarbeit im Elternhaus unerlässlich.

Hinweis auf den offenen Elternbrief an die Bezirksregierung Arnsberg.

 

6 Erziehungsverhalten

Mir ist klar, dass diese Vorstellungen von Bildung einem Idealzustand des Lernens  entsprechen. Es ist nur allzu menschlich, dass Schülerinnen und Schüler Arbeit zu umgehen  versuchen, besonders, wenn sie die Thematik des Unterrichts nicht interessiert und eigene  vorübergehende Bemühungen keinen sofortigen sichtbaren Erfolg bringen. Es gibt jedoch keine andere Möglichkeit als durch positive Impulse Eigenverantwortlichkeit,  Pflichtbewusstein und Gemeinsinn erlernen und einüben zu lassen. Sie bilden die Basis für  ein funktionierendes Miteinander. Freiwilligkeit lässt sich nicht durch Drohung erzwingen!  Langjähriges Bemühen in dieser Richtung hat in unterschiedlichen Klassen und  unterschiedlichen Jahrgangsstufen zu außerordentlich verschiedenen Ergebnissen geführt. Die Ursachen hierfür kann ich nicht wissenschaftlich überprüfbar belegen. Es ist aber festzustellen, dass der Erfolg unabhängig von Alter davon abhängt, wie viel Übungsraum Ihre Kinder zum Erwerb der Selbstständigkeit bereits an der Grundschule erhalten haben. Alle Erziehenden tragen gemeinsam dafür Sorge, dass das hochgesteckten Ziel der Eigenverantwortlichkeit erreicht wird. Die Angst  davor, dass die Kinder in einem vorübergehenden Zeitraum die gebotenen Freiheiten über Gebühr nutzen, darf nicht dazu führen, mit Druck Leistung zu erzwingen. Freiwilligkeit, Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmung lassen sich nicht erpressen. Es liegt an uns gemeinsam, die Zeit, in der sich die Kinder an die Eigenverantwortlichkeit gewöhnen, möglichst kurz zu halten.

 

 

7 Vertrauen - Kontrolle

Vertrauen in die Bereitwilligkeit und Fähigkeit der Kinder ist die Grundvoraussetzung für den Erwerb von Selstständigkeit. Wesentlich, und sogar von den Kindern erwünscht,  ist eine Kontrolle zur Vermeidung von Selbsttäuschung. Die Kontrolle durch den Lehrer dient aber nur nebensächlich zu Findung einer Benotung. Im Wesentlichen soll sie eine positive, das Lernen verstärkende Anerkennung bieten. Wo die einzelne Schülerin oder Schüler versagt hat, weiß sie oder er ohnehin meistens gut genug. Die Kontrolle soll Schülerinnen und Schüler jedoch auch noch auf von ihnen selbst unbemerkte Fehler hinweisen und Hilfen bieten, diese abzustellen.

Wegen des "Nebenfachcharakters" der Naturwissenschaften neigen Schülerinnen und Schüler dazu, die Notwendigkeit zu verdrängen, dass Leistung zu erbringen ist, um eine gute Bewertung zu erhalten. Lernerfolgsüberprüfungen dienen Ihren Kindern, den eigenen Leistungsstand im Vergleich zu Mitschülern und dem vom Lehrer erwarteten zu erkennen. Sie können als äußere Motivation wirken, sind jedoch nicht als Disziplinierungsmaßnahme gedacht, obwohl sie mitunter als Zwang empfunden werden.

 

8 Kontrollmöglichkeit

Sie als Eltern können jederzeit die "Innere Beteiligung" und das "Lernen-Wollen" ihres Kindes überprüfen, indem sie es gelegentlich auffordern zu erzählen, was an naturwissenschaftlichen Experimenten im Unterricht durchgeführt und an Ergebnissen festgestellt wurde. Sie können die Mitarbeit Ihres Kindes im Unterricht, ähnlich wie es auch der Lehrer macht, an Hand der Stundenprotokolle und Hausaufgaben kontrollieren. Sie können an den Eintragungen in den Stundenmitschriften ersehen, ob Ihr Kind Zusammenfassungen im Buch gesucht hat und damit zu erkennen gibt, dass es etwas lernen will.

Sie können an der Ausführung von Randspalten im Protokollheft erkennen, ob die Hausaufgabe des Nacharbeitens und Ergänzens aus dem Lehrbuch stattgefunden hat.
Sollten Sie hier Defizite entdecken, setzen Sie sich mit den Unterrichtenden in Verbindung. Lehrer sind dann gern bereit, in Ihnen und im Beisein Ihres Kindes Ursachen der Defizite zu suchen und Möglichkeiten zu finden, die Lerndefizite individuell zu beheben. Dabei kommt häufig heraus,  dass sich Ihr Kind aus eigener Erkenntnis Maßnahmen wünscht, die es zum Lernen zwingt, weil es spürt, dass sein Eigenantrieb mitunter zu schwach ist.

 

 

9 Information

Lehrerinnen und Lehrer sind gern bereit, auf den Elternpflegschaftssitzungen die Grundlagen Ihres Unterrichts näher zu erläutern und über den Bildungsstand ihrer Kinder zu berichten, so wie er sich im Unterricht dem Unterrichtenden präsentiert. 
Bei manchen Kolleginnen und Kollegen können Sie sich auch im Internet ausführlich über bereitgestellte Unterrichtsbegleitmaterial informieren.

 

 

10 Kontaktaufnahme

Etwaiges Fehlverhalten, aber auch stille Beteiligung Ihres Kindes kann dem Unterrichtenden zeitweilig entgehen. Bei der gegenwärtigen Unterrichtssituation betraut ein Lehrer bis zu 35 Kinder in einer Unterrichtseinheit mit im Mittel 5 Unterrichtseinheiten pro Tag. Das bedeutet, dass der Unterrichtende nicht nur das Unterrichtsgeschehen gestalten muss, sondern auch die Leistungen von ca. 150 Schülerinnen und Schülern erkennen und dokumentieren muss.

Um Fehleinschätzungen der individuellen Leistung zu vermeiden, ist eine gute Zusammenarbeit mit den Eltern wünschenswert. Diese kann bestehen in Form von Rückmeldungen in der Mitschrift des Kindes, im persönlichen Gespräch an Elternsprechtagen, in der Sprechstunde oder auch telefonisch in einer großen Pause bestehen können. Ziel ist es, den Lernprozess für Ihr Kind individuell zu gestalten.


 

 

Literatur und Bearbeitung

Autor (Text):

Klaus-G. Häusler
Quelle:

weitere Literatur:

© 1997-2003 HMTC
Klaus-G. Häusler haeusler[at]muenster[dot]de;  
uiw/fach/didakt/inhalt/unterrichtsprinzip.htm 03.03.1988